Liebes Tagebuch,
ich will dich nicht zu lange mit meinem Geschwafel quälen. Doch ich muss es doch einfach jemandem erzählen. Ich habe ein Problem. Es geht mir nicht gut, ich kann kaum schlafen – denn ich stehe im Konflikt mit mir selbst. Du weißt ja, ich bin Spieleredakteur. Als Spieleredakteur wird von mir meist eine objektive Berichtserstattung und vor allem seriöse, faktenbasierte Testberichte verlangt. Doch dieses Mal kann ich es nicht auf diese Weise aufziehen. Du weißt, liebes Tagebuch, dass ich ein totaler The Walking Dead-Fanboy bin. Und so habe ich mich auch dazu entschieden The Walking Dead: Survival Instincts zu testen. Ich habe es in den letzten Tagen mit üppiger Ausführlichkeit gespielt und gerade in diesen Spielstunden kam in mir eben jener Konflikt auf. Doch wie soll ich mein Dilemma beschreiben? Ich wage einen Versuch und drücke es mal so aus: Während ich besagten Titel spielte, prallte die Welt der Objektivität, auf die Welt des Fanboytums, also der Subjektivtät in ihrer extremsten Form.
Terminal Reality. Doch wer will es, liebes Tagebuch, den zahlreichen Test-Redakteuren eigentlich verübeln? Sie haben doch irgendwie recht: The Walking Dead: Survival Instincts ist beileibe kein Hit und mitnichten ein Spiel, das sich zur allerersten Güte, zu den Creme de la Creme der Videospielwelt zählen lässt. Es ist noch nicht einmal ein überdurchschnittlich guter Ego-Shooter, denn da gab es in der mir bekannten Vergangenheit sicherlich einige Titel, die das alles besser gemacht haben. Spontan würden mir just in diesem Moment drei Dutzende solcher Games einfallen. Doch The Walking Dead: Survival Instincts ist auch kein Spiel, das man voller Verachtung in die Tonne treten muss – wie es so einige sehr böse Reviews suggerieren. So denke ich zumindest, liebes Tagebuch. Natürlich, man kann das schon machen – immerhin soll jeder die Freiheit besitzen, zu tun und lassen was er oder sie will. Jedoch sollte man zu allererst bedenken, um was für einen Fall es sich hier handelt, bevor man solchen Aktionen nachgeht. Die Sache scheint klar, eine Analyse überflüssig: The Walking Dead: Survival Instincts ist eine Adaption. Ein Lizenz-Titel – oftmals liebevoll auch als Lizenz-Schrott bezeichnet. Der Schrott ist auch meist der Fall und trifft in vielen Belangen ebenfalls hier zu. Doch halt, stopp! Nicht so schnell, liebes Tagebuch, nicht so schnell! Man sollte sich diesbezüglich schon einmal die kritische Frage stellen: Warum ist dem so? Nun, ich kann es beantworten. Meist wollen die Produktionsfirmen und Lizenzgeber mit der Videospiel-Umsetzung die Geldkuh der entsprechenden Vorlage ein wenig mehr melken, um auch noch den letzten Tropfen an Flüssigem abzuzapfen. Und da alle Welt weiß, welch ein Erfolg The Walking Dead ist – sei es nun Comic oder TV-Serie – sollte es auch niemanden verwundern, besonders dich nicht, liebes Tagebuch, dass ein solches Lizenzspiel aus den Tiefen der gierigen Geldmolkereien entspringen musste. In dieser Hinsicht würde ich persönlich Telltales Umsetzung des Zombie-Drama-Spektakels nicht in diese Kategorie stecken! Denn hier lief alles weitgehendst unabhängig ab, ohne großen Druck und Geldzwang. Und dabei heraus kam das vielleicht emotionalste Spiel, welches ich je in meinem Leben gespielt habe und vielleicht auch spielen werde. Das kann man einfach nicht wiederholen. Das wollte man auch mit Survival Instincts nicht unbedingt – zumindest aus spielerischer Sicht. Die Kasse sollte dennoch wieder klingeln – möglichst schnell. Und so begab es sich, dass die Jungs und Mädels von Terminal Reality – denen die nicht gerade Dankenswerte und recht verrufene Verantwortung der Videospieladaption zukam – weniger als ein Jahr Zeit hatten, um The Walking Dead: Survival Instincts zusammenzuschustern. Da muss man schon erst einmal sagen: Respekt! Findest du nicht auch, liebes Tagebuch? Freiwillig würde sich solche Strapazen sicherlich keiner antun. Zumindest würde ich selber das nicht hinbekommen. Das liegt vielleicht daran, dass ich vom praktischen Programmieren recht wenig Ahnung habe, aber ich glaube dennoch zu wissen, dass es keine leichte Aufgabe war und ist, ein gerade noch spielbares Videospiel binnen weniger als einem Jahr fertigzustellen. Natürlich sollte einem dabei auch völlig klar sein, dass in solch einer kurzen Zeit keine Triple-A-Produktion entstehen kann. Das Problem liegt jedoch in der Tatsache, dass man wohl genau das versuchte zu vollbringen: In kürzester Zeit eine große Hochglanz-Produktion zusammenbasteln. Ich erzähle dir also in einfachen Worten, liebes Tagebuch, warum ich im großen Konflikt mit mir selbst stecke:
Das Spiel ist nicht wirklich gut – ganz objektiv gesehen. Doch als Fan der Serie hatte ich doch irgendwie ein wenig Spaß an der Sache – ganz subjektiv gesehen. Das mag aber auch vielleicht auch an meinen Erwartungen liegen, die ich zuvor – und zu meiner Sicherheit – in den Keller gesperrt hatte. Eigentlich dürfte ich dieses Spiel als objektiver, seriöser Spieleredakteur keinem uneingeschränkt empfehlen – und das will ich auch gar nicht tun. Aber ich kann meine Persönlichkeit, meine innersten Gefühle doch nicht abschalten. Es ist nun mal so, dass ich Zombies und die TV-Serie mag. So brachte mir also Survival Instincts durchaus auch ein paar Stündchen an Kurzweil mit sich obwohl ich, gleichzeitig, als wahrer Gamer richtig schlimme Schmerzen beim zocken verspürte. Was soll ich also in Angesicht meiner Pflicht, die sich doch sehr mit meinen persönlichen Gefühlen kreuzt, tun, liebes Tagebuch? Wie soll ich diesen Ego-Shooter, dieses Lizenz-Spiel bewerten? Doch warte, liebes Tagebuch, mir kommt eine Idee: Ich mache eine kleine Liste.
„Warum ich, objektiv gesehen, Survival Instincts nicht spielen sollte…
– Unterdurchschnittliche Grafik (vor allem die Texturen erreichen zu keiner Zeit eine gehobene Qualität; auch die Charaktermodelle sind etwas steif, sehen meist aus wie Puppen)
– Die Bildrate geht trotz der niedrigen Grafikqualität oftmals in die Knie
– Schlechte Animationen (nahezu alles bewegt sich, wie nach einer mehrstündigen Rektaluntersuchung im Krankenhaus – selbst die Überlebenden, auf die ich als Spieler treffe)
– Repetitives Missionsdesign und viel Wiederholungsarbeit (Hol mal Benzin hier, suche nach Nahrung dort. Hey, 10min später machst du nochmal genau das Selbe!)
– Nahezu jedes Gameplayelemente wurde nicht zu Ende gedacht und meist schlecht ausgearbeitet.
– Grausiges, stupides Kampfsystem (Ooh, ein Zombie kommt. Den schlage ich mit einem easy Finisher einfach tot. Immer auf die gleiche Art: Meist umgehe ich solch einen Untoten von hinten und dann braucht es nur einen Streik mit meinem Messer. Und wenn sich mal eine große Menge an Zombies gemeinsam auf Nahrungssuche macht, dann stellen sich die verwesenden Individuen meistens wie in einer Kantine in einer Schlange auf und warten brav, bis sie an der Reihe sind, um nach und nach ein Messer von mir ins Hirn gerammt zu bekommen. Guten Appetit!)
– Wo bleibt die Gruppendynamik aus der TV-Vorlage? Wo bleibt das Drama, die Spannung? Immerhin treffe ich im Verlaufe des Spiels ständig auf Überlebende mit denen ich zusammenarbeiten muss. Aber die hätte ich genauso gut durch Pappmanschkerl ersetzen können – denn die sind fast noch dynamischer und lebendiger.
– Die Zombies aus Survival Instincts sind die dämlichsten, untoten Menschenesser die ich je gesehen habe. Klar, Zombie ist Zombie. Aber dann verhalte dich doch bitte auch wie ein hirnloser Streuner. Wenn ich dir schon mit meiner Taschenlampe ins Gesicht leuchte, dann bitte drehe deine unansehnliche Visage auch zu mir, um anschließend voller Verlangen nach mir zu schnappen! Danke! PS: Meine KI-Begleiter sollten übrigens auch potentielle Nahrung für euch darstellen – das ist nur mal so ein kleiner Hinweis meinerseits.
– Sehr knapp bemessene Spielzeit. Mehr als fünf Stunden sind für einen Durchlauf nicht drin.
– Die Nebenschauplätze wirken wie geklont. Nun ja, kann daher rühren, dass sie es meist auch sind.
– Recht willkürlich gewählte Interaktionsmöglichkeiten mit der Umgebung (diese Tür geht mal, und diese wieder nicht – warum dem so ist, verrät Daryl aber nicht!)
– Dröge Story, die mit langweiliger Erzählstruktur die Massen garantiert nicht bewegt.
Warum ich mir, als Walking Dead-Fan, das Spiel mal zu Gemüte führen sollte
+ Man übernimmt die Kontrolle über die coolste Sau, welche die Drama-Serie je gesehen hat: Daryl Dixon.
+ Die Geschichte setzt vor der bekannten Storyline der TV-Serie ein und erzählt somit ein wenig mehr über den Hintergrund sowie dir Vergangenheit der Gebrüder Dixon.
+ Survival Instincts beinhaltet die Original-Sprecher bzw. Schauspieler der Serie, die ihren Job durchaus ernst nahmen und gute Arbeit ableisten.
+ Ab und an kommt richtige The Walking Dead-Stimmung auf. Dieses Gefühl wird gelegentlich durch einen ordentlichen Soundtrack und die Titelmelodie der TV-Vorlage unterstützt.
+ Der eine oder andere Schreckmoment ist auch mit dabei. So fallen den Spieler des Öfteren Zombies aus dunklen Ecken an oder gescriptete Schockeinlagen und Schattenspiele lassen einen unweigerlich aufschrecken.
+ Die Idee, dass man sich zwischen den großen Missionszielen für unterschiedliche Routen entscheiden kann und dabei auch noch drei Optionen erhält, die einem die Möglichkeit anbieten, ob man über Bundestraßen, Landstraßen oder Highways sein Ziel erreichen will, mischt der recht stupiden Zombie-Überlebens-Action ein wenig Würze unter.
+ Die Entwickler haben sich Mühe gegeben, ein wenig vom tatsächlichen Survival-Feeling zu vermitteln. So kann man vor jeder Mission überlebende Gefährten aussenden und sie nach Essen, Benzin oder sonstigen Vorräten suchen lassen, die für den weiteren Fortschritt durchaus von Nöten sind. Als Spieler sollte man ebenfalls solchen Aktivitäten nachgehen, vorausgesetzt man möchte nicht unentwegt mit dem Vehikel am Straßenrand stehen bleiben um in immer gleich designten Levelabschnitten Benzin besorgen zu müssen.
+ Das Gebrüderpaar ist recht gelungen ins Szene gesetzt.
+ Habe ich schon erwähnt, dass man Badass Daryl Dixon inklusive seiner coolen Armbrust spielt?
+ Der Schwierigkeitsgrad ist gut ausbalanciert.
+ Für ein richtigen heftigen The Walking Dead-Fan, der auch die TV Staffeln sein Eigen nennt, gehört dieses Game einfach zur Sammlung dazu.
+ Das Spiel spielt vor der ersten Staffel der TV-Serie und Daryl Dixon ist noch ein wenig netter als gewohnt, aber genau das passt zur Stimmung und zum Flair des Spieles, denn Dixon wird ja erst der harte Badass durch das Geschehene in der TV-Serie.
+ Wenn wir zu lange rennen, fangen wir an zu schwitzen und einige der Zombies können uns nun riechen. Dieses Feature ist wirklich toll erdacht und völlig neu in diesem Genre.
Was mir nun als Spieler am Schluss mit The Walking Dead: Survival Instincts serviert wird, ist in etwa mit einem fast noch rohen, blutigen Steak zu vergleichen, dass noch nicht mal zur Hälfte durch ist. Eigentlich hat der Ober einem ein schmackhaftes, zartes Steak versprochen, dass gut durchgebraten serviert werden sollte. Auf den Tisch wurde mir dann allerdings ein blutiges, fast noch lebendiges Stück Fleisch vermutlich direkt vom Metzger vor den Latz geknallt. Dennoch kommt das Stück Fleisch vom The Walking Dead-Metzger – und den mag ich ja so gerne, liebes Tagebuch. Ich habe es also gegessen und kann mich über dessen Geschmack nicht wirklich einig werden.
Liebes Tagebuch, nun reicht es aber auch wieder mit den Worten. Ich glaube, dass ich durch diese Niederschrift wieder besser schlafen werden kann, denn mein Gewissen ist beruhigt. Als objektiver Redakteur war das Spiel keineswegs ein Vergnügen. Ganz im Gegenteil: Es war weniger als Durchwachsen und mehr als Schlecht. In dieser Hinsicht würde ich dem Spiel nur vier Punkte geben. Doch aus der Sicht eines The Walking Dead-Fans hatte ich durchaus mal auch Spaß an der ganzen Sache. Die Stimmung der TV-Vorlage wurde stellenweise recht gut eingefangen und es freut mich Daryl Dixon inklusive seiner Original-Stimme spielen zu dürfen. Dementsprechend würde ich Survival Instincts ganz subjektiv und als großer Zombie-Fan sechs Punkte geben. Somit bleibt mir nichts anderes übrig, als die Entscheidung, die Wertung genau in der Mitte zu fällen. Und so muss jeder für sich entscheiden, was er ist: Ein objektiver Spieler, der die Qualität anhand beinharter Fakten misst oder ein Fan der Serie, von Zombies und Ego-Shootern, der auch mal über große Fehler und viele designtechnische Schundtaten hinwegsieht.