Ich bin vollends davon überzeugt, dass einige derjenigen, die sich diese Zeilen gerade zu Gemüte führen, in nostalgische Schwärmerei verfallen, wenn das Computerspiel The Great Giana Sisters erwähnt wird. Denn bereits zur Zeiten seiner Erscheinung (1987 für das C64) war der Titel, aufgrund seiner recht simplen Jump’n’Run-Mechanik und der nicht ganz unbegründeten Ähnlichkeit zu anderen Klassikern des Hüpfspiel-Genres wie Super Mario Bros., ein sehr beliebter. Doch erst gute 22 Jahre später kam es zu einem Nachfolger, der in Form eines Nintendo DS-Spiels mit dem Namen Giana Sisters DS veröffentlicht wurde. Das sollte nun aber als Vorgeschichte und Hintergrundwissen für den folgenden Test genügen – und sowieso möchte ich hier nicht gar nicht weiter ins Detail gehen, denn die Geschichte von The Great Giana Sisters wurde schon abermals erzählt. Deswegen schlagen wir doch einfach ein neues Kapitel auf und schreiten gen Gegenwart, denn die neuen Giana Sisters sind nun endlich auf den heimischen Konsolen, genauer gesagt auf der Xbox 360, angekommen. Und man sollte ihnen nicht nur aus puren Nostalgie-Gründen oder als alter Retro-Liebhaber seine Beachtung schenken, denn die verdrehten Schwestern haben sich mit Giana Sisters: Twisted Dreams einen weiteren, charmanten aber dennoch modernen Genre-Klassiker erlaubt.

Wie der Untertitel Twisted Dreams verrät, geht es im neuen Giana Sisters, dass übrigens nur dank einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne zur Fertigstellung gebracht werden konnte, um Träume und Parallelwelten. Denn die arme Maria wird von einem äußerst bösen Drachen in einer heruntergekommenen, düsteren Traumwelt gefangen gehalten. Und da sich Geschwister in jeder noch so aussichtslosen Lage gegenseitig zur Hilfe eilen, setzt auch Marias Schwester Giana in ihrer Parallelwelt alles daran, ihr geliebtes Schwesterchen zu befreien. Da es sich hierbei immer noch um ein Jump’n’Run-Spiel handelt, gilt es im Prinzip auch im modernen Giana Sisters durch die insgesamt 25 Level in drei Welten von links nach rechts zu hüpfen. Dabei gilt es nach alter Spring & Rennen-Tradition meist herausfordernde Geschicklichkeits-Passagen zu meistern, etwaige Rätsel und Puzzles zu lösen und gleichzeitig solchen Aktivitäten wie dem Einsammeln von glitzernden, verschiedenfarbigen Edelsteinen nachzugehen. Doch wo wäre der Spielspaß an der ganzen Sache, wenn es nicht etwas Besonderes am altmodischen Gameplay zu entdecken gäbe? Immerhin sind es doch Geschwister; da kann man doch etwas Ungewöhnliches erwarten, oder? Ich meine, wer hat überhaupt schon mal ein Geschwister-Pärchen in irgendeinem Medium – sei es Buch, Film oder Videospiel – gesehen, dass keine speziellen Kräfte besaß oder in irgendeiner Form mit dem Schicksal verbunden war. Ich glaube, wohl niemand. Und so begibt es sich auch in Giana Sisters: Twisted Dream, dass sowohl in Giana als auch in Maria besondere Kräfte inne wohnen: Die Blondine kann auf Knopfdruck einen hohen Wirbelsprung vollführen und somit einige Sekunden durch die Lüfte gleiten, wohingegen sich der Rotschopf in einen gefährlichen Feuerball verwandelt, der vieles zerstört.

Doch das ist noch nicht das eigentliche Element, welches Giana Sisters von anderen Jump’n’Runs abhebt: Wir können mittels eines Drucks auf den entsprechenden Knopf ebenfalls zwischen den beiden Hauptprotagonistinnen hin und her wechseln, womit sich für uns, im wahrsten Sinne des Wortes, ungeahnte Dimensionen eröffnen. Denn schon früh im Spielverlauf werden die fließenden Übergänge zwischen den zwei Parallelwelten, die binnen eines Lidschlags geschehen, ein fester Bestandteil des spaßigen Spielprinzips. So müssen Rätsel- und Geschicklichkeits-Passagen oftmals nicht nur durch geschicktes Kombinieren der individuellen Fähigkeiten des Geschwister-Pärchens, sondern auch durch cleveres Wechseln zwischen Rot- und Blondschopf, also durch das Umschalten zwischen den zwei Parallelwelten gemeistert werden. Gerade hier spielt Giana Sisters: Twisted Dreams seine Spaßkarte aus. Doch Vorsicht ist hier geboten: Giana Sisters ist ein recht fordernder Titel. Der Entwickler Black Forest Games hat sich wohl sehr darum bemüht, uns das Jump’n’Run-Leben nicht einfach zu machen. Nur ein akribisches Timing beim Wechseln zwischen den Welten und punktgenaue Sprünge führen zum Erfolg – und oftmals machen uns fies platzierte Feinde ein Strich durch die Rechnung. Doch genau in diesen Herausforderungen verbirgt sich der besondere Reiz von Giana Sisters.

Die Transformations-Spielchen haben indes nicht nur spielerische Auswirkungen, sondern bewirken auch Veränderung optischer, gar ästhetischer Natur – und dabei meine ich nicht nur die wechselnde Haarfarbe der Giana Schwestern! Spielen wir mit der punkigen, rothaarigen Schwester, erstrahlt die Welt – verdrehter Weise – in prachtvollen, kunterbunten Farben. Blumen blühen, die Sonne scheint und die Gegner sind nicht mehr als plüschige Vögel, die man am liebsten knuddeln möchte. Doch wechseln wir zur braven Giana-Blondine überwältigen uns düstere Brauntöne. Plötzlich sprießen kahle, blasse Bäume aus dem Boden, wo vorher noch prächtige, mit grünem Blätterwerk bewachsene Stämme standen. Aus den knuddeligen Vögelchen, werden schurkenhafte Teufel und wunderschöne Blumenbüsche verkommen zu hässlichen, verdorrten Dornenbüschen. Faszinierend: Das alles erfolgt in weniger als einer Sekunde auf Knopfdruck. Der Effekt ist einfach wunderbar – und selbst nach dem hundertsten Mal war ich darüber erstaunt, wie fließend, nahtlos und detailreich sich das Spiel in diesen Momenten in seiner visuellen Gestaltung verändert. Hier hat sich Giana Sisters: Twisted Dreams sicherlich einen Bonus-Award für besondere künstlerische Leistung verdient.

Doch es bleibt nicht nur bei einer rein optischen Veränderung, wenn man zwischen den zwei Schwestern wechselt. Auch das Leveldesign unterliegt den Verwandlungen, welche die Sprüngen in die jeweils parallele Traumwelt mit sich bringen. So erscheinen auf einmal in der einen Welt Plattformen, die vorher unsichtbar schienen oder Brücken treten zu Tage, die in der Parallelwelt eingestürzt waren. Viele Puzzles müssen auf diese Weise gelöst, verschiedenfarbige Edelsteine durch ein geschicktes Wechselspiel gesammelt werden – und auch die obligatorischen Hüpfpassagen kommen nicht ohne dieses besondere Spielelement aus. Das habt ihr wirklich gut durchdacht Black Forest Games!

Ein Extra-Lob geht ebenfalls an Chris Hülsbeck und der Metal-Band Machinae Supremacy, welche zusammen das Spiel perfekt vertont haben. Denn auch die musikalische Komponente des 2D-Hüpfers wird vom Weltenwechsel beeinflusst: Während sich Blondinchen mit fröhlicher Synthesizer-Pop-Musik durch ihre trostlose Düsterwelt schlägt, hüpft ihr punkiges Schwesterlein zu rockigen E-Gitarren in bester Metal-Manier durch die kunterbunte Parallelwelt. Genau wie die grafischen Elemente, geht dabei auch die Musik nahtlos ineinander über. Das ist einfach nur cool! Chris Hülsbeck war übrigens auch sehr an der Entwicklung von Giana Sisters: Twisted Dreams beteiligt.

Der Umfang des Spieles fällt im Gegensatz zum Rest leider etwas ab, man kann aber zwei weitere Spielvarianten (Score Attack und Time Attack) frei spielen. Dennoch benötigt man als Durchschnitts-Gamer wohl nicht mehr als eine Handvoll an amüsanten Stunden, um das Spiel komplett durchzuspielen. Perfektionisten können immerhin noch alle Edelsteine einsammeln sowie versuchen, sämtliche Stages mit Bestnote zu bewältigen. Außerdem kann man auch noch die zwei weiteren Schwierigkeitsstufen ausprobieren – sofern man sich in Selbstfolter üben will, denn die Schwierigkeitsvarianten Hardcore und Über-Hardcore haben es tatsächlich Faustdick hinter den Ohren. Was, dass findet ihr super? Na dann, auf in die Traumwelt!

 

 

Giana Sisters: Twisted Dreams ist ein wunderbares Spiel geworden und trotz einer altbekannten Jump’n’Run-Schematik dennoch kein stupider Mario-Klon! Denn es überzeugt mit eigenen, frischen Ideen. Die Spielkulisse ist schlichtweg wunderschön umgesetzt worden und verdient sich besondere Aufmerksamkeit. Der nahtlose Transformations-Effekt ist selbst beim zweiten Durchgang eine Augenweide und ließ mich doch immer über die unübersehbare Tatsache staunen, mit welcher Detailverliebtheit die Entwickler hier gearbeitet haben. Die Ladezeiten zwischen den Levels haben es zeitlich in sich und auch die Bildrate geriet das ein oder andere Mal etwas ins Holpern. Manchmal hatte ich das Gefühl, dass die Steuerung etwas hakelig reagierte, wenn dem so ist, dann aber auch nur minimal. Gar nicht dämlich war ich hingegen bei den Boss-Gegnern, denn diese sind schließlich meist nur durch stupides Trial & Error zu besiegen, weshalb es nicht verwundern sollte, wenn es einige Anläufe braucht. Dahingegen ist die musikalische Komponente des Games ein wahrer Leckerbissen und ergänzt den tollen Umschalt-Effekt in jeder Hinsicht. Und so ist Giana Sisters: Twistet Dreams ein tolles, charmantes und spaßiges Jump’n’Run geworden, dass Eure künstlerische Sicht der Dinge in Sekunden umschalten kann!


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Autor: Matthias Kraut

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