«DIE RAUMMASCHINE 4»
RAUMMASCHINE 4 – DIE PERSPEKTIVE DER INSPIRATION UND GEOMETRIE
Das Grundkonzept aller vier Raummaschinen-Gemälde ist merklich einfach und besteht in der Positionierung einer Steckdose verteilt auf alle vier Ecken der Bildfläche eines jeden Bildes (100 x 280 cm) von der aus sich die sechs Ebenen (Steckdose, Chip, Binär-Code, Rasterfläche, GameWorld und Source-Code) entwickeln. «Die Raummaschine 4» hat ihre Steckdose in der rechten unteren Ecke, welche sich auf einer zu einem Würfel geformten Chipfläche befindet. Die mittelalterliche Burg fungiert wie eine Trennwand, quasi eine Membran zwischen 3D-Raster und weiß-grauer Rasenfläche, welche die Außenlandschaft der Burg repräsentiert. Ein Flusslauf verbindet zwei Seen miteinander. Der linke, gewissermaßen im Innenhof der Burg sich befindende See, zeigt die allen vier Raummaschinen gemeine Berg und Seelandschaft. Deutlicher als bei den drei anderen Gemälden wird hier der Charakter einer Kulisse betont: Die Himmelsfläche zeigt eine pixelierte Sternennacht, die aus mehreren Blöcken zu einer Wand zusammen gestellt ist, hinter der sich – einer Theaterbühne ähnlich – ein Berg (wie eine Ersatzkulisse) verborgen hält. Der Regenbogen, ein atmosphärisch-optisches Phänomen, das wahrgenommen wird als kreisförmiges Lichtband von Spektralfarben, ist ein gestelltes Objekt, welches nicht der Lichtbrechung durch Regentropfen folgt, sondern zwischen Himmelwand und Bergen ebenfalls eine Kulisse darstellt. Vereinzelte kleine Rasenflächen, aus einem Tangram-Puzzle zusammen gesetzte Tannen, zwei Häuser mit Schrägdach, so wie die für ein 3D-Modelling-Programm unabdingbare Raumkoordinate (X,Y und Z Achse) bilden die Uferfläche. Die Rasenflächen entpuppen sich als die sieben Spielsteine aus dem Computerspiele «Tetris» (1984). Der See zur rechten Seite ist zu einem Würfel zusammengelegt auf dessen Oberflächen eine Fregatte und eine Kogge ihre im rechten Winkel angelegte Schwerkraft haben. Ein Wasserlauf verbindet die Seen miteinander und sorgt für eine gegenseitige Wechselwirkung beider Schiffstypen. Das Prinzip der Schachtelung, das Zusammenfalten oder Zusammenlegen eines Körpers zwecks Raumoptimierung, lässt sich mehrfach im Bild finden. Die linke Berg/Seelandschaft geht mit der Burg eine Raum optimierende Verbindung ein, indem sie gewissermaßen ihren Innenhof bildet. Die zu Tannen zusammen gesetzten Tangram-Steine finden sich auf der Verbindungsstrecke der zwei Seen zum Quadrat kombiniert. Die Chipfläche der zweiten Ebene folgt ebenfalls diesem Prinzip und ist zu einem Würfel zusammen gelegt. Linksseitig sind die gesamten auf der Rasterfläche aufgelisteten Elemente zu einer großen Kugel komprimiert. Der Grund für diese diffuse Anordnung erschließt sich aus der unterhalb sich befindenden kleinen Kugel, die dem japanischen Videospiel «Katamari Damacy» (2003) entnommen ist. Dessen Spielhandlung ist das Rollen einer klebrigen Kugel, um Gegenstände zu sammeln, welche die Kugel stetig vergrößert und so den Zugang zu neuen Levelabschnitten ermöglicht. Der Verlauf des Spiels bildet einen Spannungsbogen vom Umwickeln kleinster auf der Strasse liegender Gegenstände bis hin zur Aufnahme kontinentaler Platten und Planeten. Zimmermann übersetzt dieses Prinzip von «Katamari Damacy» in seine eigene Bildsprache und um seine Inspirationsquelle offen zulegen stellt er, quasi zur korrekten Zitierung seiner Wissensquelle, die Katamari-Kugel auf das Raster. Um das Herkunftsland dieses Spiels deutlicher hervor zu heben, fügt er ein typisch japanisches Element hinzu das ebenfalls dem Prinzip vom Zusammenlegen folgt: Ein aus Japanpapier gefalteter Origami-Kranich, der wiederum an das PlayStation 3 Spiel Heavy Rain (2010) aus dem Hause Quantic Dream, erinnert, aber ungewollt denn diese Parallele sollte nicht gelegt werden. GameWorld und Rasterfläche bilden in diesem vierten Gemälde ein ineinander übergehendes Gefüge, weswegen eine strickte Trennung dieser beiden Ebenen durch TV-Linien keinen Sinn machen würde. Dennoch sind die TV-Linien nicht aus dem Inventar der GameWorld ausgeklammert, sondern bilden ein stilistisches Element und lassen sich zu einem Würfel gefaltet, wie ein Äquivalent zur Wasserfläche, auf dem weißen Rasen finden. Auf dieser großen Wiese steht zentral eine Sonnenkugel, die durch ihre Strahlkraft die Farben der grünen Wiese und aller sich darauf befindenden Objekte extrahiert und ausgeblichen hat. Das Raumschiff, vereinzelt platzierte Tangram-Steine und die zu einem Würfel zusammen gelegten TV-Linien behalten trotz der abnormen Hitze der Sonnenkugel ihre Formen; haben durch die Farbextraktion in Folge der Strahleneinwirkung eine Farbskala aus weißen und hell-rosa Farbwerten erhalten. Gewissermaßen kann diese weiche Farbstimmung als eine weitere Annäherung an die japanische Kultur verstanden werden, da diese typisch für die japanischen «Hello Kitty»-Produkte sind.
PERSPEKTIVEN ALS STILISTISCHES ELEMENT
RAUMMASCHINE 4 – DIE PERSPEKTIVE DER INSPIRATION UND GEOMETRIE
Die Perspektive fasst die Möglichkeit zusammen, dreidimensionale Objekte auf einer Fläche so abzubilden, dass dennoch ein räumlicher Eindruck entsteht. Da es mehrere Perspektiven gibt, gibt es mehrere Möglichkeiten einen räumlichen Eindruck auf einer Fläche zu erwecken. #MatthiasA.K.Zimmermann spielt, durchmischt und kombiniert Perspektiven und lässt teilweise ungewohnte und bizarre Darstellungen entstehen. Einige seiner Bilder zeigen Raumlandschaften die ein regelrechtes Sammelsurium an Perspektiven präsentieren. Er gebraucht die Perspektive mehr im Sinne eines stilistischen Elementes um der Willen einer geometrischen Ästhetik. Besonders auffällig im Gemälde der «Raummaschine 4» scheint die Geometrie der Burg, die dem Prinzip der «Umgekehrten Perspektive» folgt. Inspiration fand Zimmermann in der Darstellung der Fußstützen auf dem Bild «Die Dreifaltigkeitsikonen» des russischen Malers Andrej Rubljow (1360 – 1430). Der Fluchtpunkt bei dieser Art der Perspektive liegt vor dem Bild im Gegensatz zur Zentralperspektive, wo er dahinter liegt. Die «Zentralperspektive», welche die räumlichen Beziehungen in der wirklichen Welt sichtbar macht, beruht in der Wahrnehmung der deskriptiven Geometrie; wogegen die «Umgekehrte Perspektive» dieser Logik enthoben ist und dem Leitgedanken einer von gedachten parallelen Linien folgt, die vom Auge des Betrachters ausgehen und nicht am Horizont zu einem Punkt zusammen führen. Diese mehrfach in russisch-mittelalterlicher Malerei zu findende Perspektive liebt #MatthiasA.K.Zimmermann über alles, weswegen sie mehrfach in seinem Werk verwandt wurde. In der «Umgekehrten Perspektive» dargestellten Burg eingebunden ist die «Kavaliersperspektive», welche die Rasterfläche als Schrägriss abbildet und aufgrund ihrer großen Fläche im Bildraum die dominierende Perspektive ausmacht, nach der sich die meisten Objekte richten. Zwei dieser Objekte sind der Binär-Code und der Chipwürfel, welche wiederum eine weitere Perspektive in sich bergen, denn Zahlenreihen und Steckdose sind frontal dargestellt und folgen nicht der 45° Neigung vom Kavalierriss. Der Raster bei der Flusslinie welche die beiden Seen verbindet, zieht sich zu einer «Zentralperspektive» zusammen deren senkrechte Linien (senkrecht hinsichtlich der X-Achse) zu einem Punkt außerhalb des Bildraums konvergieren. Zimmermann verwendet hier die «Zentralperspektive» als Versatzstück zweier entgengesetzter «Kavaliersperspektiven» – als Strategie um den im Schrägriss dargestellten Raster zu spiegeln. Unterschiedliche Objektgrößen können als «Bedeutungsperspektive» verstanden werden, in der die Größe wichtiger Objekte, wie etwa die Raumkoordinate (X,Y und Z-Achsangabe), der Größe einer Vielzahl anderer Objekte vorgezogen ist. Das Raumschiff, der Origami-Kranich und die Katamari-Kugel entstammen der Konstruktion eines 3D-Modelling-Programms und weisen Schattenwürfe auf, die sie plastischer als andere Objekte auf dem Bild erscheinen lassen. Diese Objekte folgen der Perspektive der «Isometrie», welche die Einheiten aller drei Koordinatenachsen im gleichen Massstab parallel abbildet (Parallelprojektionsverfahren). Durch Vereinzelte Spiegelungen im Wasser und Schatten verleiht Zimmermann auch flächigen Objekten ein plastischeres Profil. Der Gesamteindruck dieses Gemäldes assoziiert einen im Panoramablick betrachteten Setzkasten in der «Multiperspektive», welcher nicht nur Objekte sammelt sondern auch fein ausbalancierte, auf einander abgestimmt Perspektiven. Der Bildraum wird oftmals als eine Kulisse im Sinne eines Bühnenbildes verhandelt. Vereinzelte Objektkombinationen lassen wiederum an eine räumliche Installation denken: Etwa der fluoreszierende Regenbogen vor der schwarzen Sternenhimmelwand, assoziiert ein Beamer projiziertes Bild in einer Black Box. Zimmermanns Raummaschinen-Bilder lassen insbesondere – im metaphysischen Sinne – eine große Beschäftigung mit der räumlichen Grenze vermuten. Grenzen wie sie in Filmen wie «Dark City» (1998), «The 13th Floor» (1999) oder «The Trumanshow» (1998) gezeigt werden. Das eine Perspektive nicht nur als geometrisches Mass verstanden werden muss, sondern auch eine Sichtweise zur kreativen Ideenfindung bedeuten kann, zeigt Zimmermanns folgendes Zitat über «Die Perspektive der Inspiration».
Matthias A. K. Zimmermann
Mit der nötigen Einstellung und dem richtigen Blick lässt sich selbst an Orten kläglichster Trostlosigkeit eine Märchenwelt von erlesener Schönheit finden. Wer vermag loszulassen von der Gepflogenheit alltäglicher, gesättigter Dekadenz findet in einer Fläche aus verwaschenem Beton und gerostetem Stahl Magie von größter Energie, die ihm Stunden begnadeter Schaffenskraft schenkt. Alles ist eine Frage der Perspektive. Eine Perspektive die zu inneren Bildern weist und nach außen gewendet das phantastische im Alltag sichtbar macht.
06. Dezember 2010
ALLTAGSIMPRESSIONEN ALS INSPIRATIONSRESERVOIR
RAUMMASCHINE 4 – DIE PERSPEKTIVE DER INSPIRATION UND GEOMETRIE
#MatthiasA.K.Zimmermann betrachtet den Alltag, auch wenn er noch so eintönig und gleichmäßig sein kann, als unerschöpfbares Inspirationsreservoir. Eine nach innen gerichtete Ruhe lässt ihn das alltägliche Geschehen rekapitulieren, was ihm konkrete Ideen für seine Gemälde bringt. Betrachtet man seine Raummaschinen-Bilder, deren zentrale Bildelemente eine videospielästhetisierte Berg/Seelandschaft mit Häuser und Schiffen ist, so lässt sich darin deutlich die Schweizer Landschaft wieder erkennen, deren Städte vielfach von Flüssen durchzogen sind und an Seen angrenzen, die den Ausblick auf ein gefrorenes Alpenpanorama bieten. Zürich und Luzern sind Städte dieses Typs, in denen Zimmermann Abschnitte seines Lebens verbrachte und in denen er Inspiration fand. Aber auch Bern, die Bundesstadt/Hauptstadt der Schweiz mit ihren weiten Brückenverbindungen und dem eindrucksvollem Stadtbild bedeutet für ihn ein Ort der Inspiration. Ein wichtiger Part alltäglichen Geschehens sieht er im digitale Raum verortet: Im Internet welches gewissermaßen die Welt und dessen Geschehen spiegelt. Google/Earth etwa vermittelt dem User im Streetview-Modus ein Abbild der Welt in virtueller Distanzauflösung die es ermöglicht in Sekundenschnelle Einblicke in diverse Orte und Landschaften dieser Erdkugel zu gewinnen. Der digitale Raum zeigt dem User eine Welt ohne Distanzen deren Masseinheit nur Tastenanschläge und eine kurze Ladezeit sind. Diese am Computer digital erfahrbare Welt betrachtet Zimmermann jedoch auch als ein Zerrbild welches nur ein abstraktes Bild der Wirklichkeit wiedergibt – gewissermaßen ein Modell. Diesen Aspekt der räumlichen Distanzauflösung erhebt Zimmermann zum zentralen Leitfaden seiner Bildthemen, weswegen seine Gemälde modellartige Raumlandschaften zeigen, die aus diversen Orten dieser Welt zusammen geschachtelt sind. Da ein Modell nicht alle Attribute des Originals erfassen kann, sondern nur jene, die dem Modellerschaffer als relevant erscheinen, entsteht eine Abstraktion und Vereinfachung. Der Betrachter sieht in Zimmermanns Bildern eine abstrahierte Wirklichkeit. Diese Wirklichkeit besteht aus Alltäglichem wie: Städte, Küsten, Berge, Seen, Schlösser, Burgen, Fabrikgebäude, Industrie, Häuser, Hochhäuser, Schiffe, Züge, Busse, Flugzeuge, Bäume, Leuchttürme usw… Zimmermann sieht in der Darstellung seiner Objekte, hinsichtlich der Abstraktion, drei Abstufungen: 1. «Konkrete Objekte», 2. «Variierte konkrete Objekte», 3. «Nicht konkrete Objekte». Die «Konkreten Objekte» lassen Gebäude, Landschaften und Orte erkennen, die eindeutig auszumachen sind und ein photographisches Abbild zeigen. Bei den «Variierten konkreten Objekten» handelt es sich um Gebäude, Landschaften und Orte die ebenfalls existent sind, aber abgewandelt wurden und nur noch ungefähr zu erkennen sind. Die «Nicht konkreten Objekte» bezeichnen Gebäude, Landschaften und Orte, die sich so weit von ihrer Vorlage entfernt haben, dass sie mit der Vorlage nicht mehr in Verbindung gebracht werden können. Zimmermann findet in der Kombination von Realität und abstrakter graphischer Darstellung eine spannungsvolle Wechselwirkung, welche zu einem gewissen Grad auf die «Augmented Reality»(Erweiterte Realität), welche immer stärken Einzug in der Alltäglichkeit nimmt, hinweist. Unter erweiterter Realität (AR) versteht man die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung: Die Ergänzung von Bildern oder Videos mit computergenerierten Zusatzinformationen oder virtuellen Objekten mittels Einblendung und Überlagerung. Der nachfolgende Slider zeigt zwei von Zimmermanns Gemälden, die eine solche Verbindung von Realität und graphisch abstrahierter Darstellung zeigen. Photographische Abbildungen sind in modellhafte Raumlandschaften von düsterer, mystischer Atmosphäre eingebunden. Das Gemälde «Die Landebahnen vor dem Andromedanebel» zeigt einen modellartigen Flughafen mit weiten, leuchtenden Landebahnen in dessen Hintergrund das Bergpanorama der Walliser Alpen (Schweiz) thronen, hinter dessen Massiv sich das Weltall und der Andromedanebel weiten. Bei «Die fünf Sektoren eines Inselpanoramas» sieht der Betrachter von einer modellartigen Insel aus auf der sich ein Dorf, Industrieanlagen und eine Burg befindet, auf die nächtliche Skyline von Durban (Südafrika). Beide Bilder haben die Masse 100 x 280 cm.