In unregelmässigen Abständen präsentieren wir Euch GamesArt Pixel Movements. In dieser Kategorie gehen wir auf ein Element der Games-Branche näher ein, im positiven sowie im negativen. Wir beschreiben Euch ein wenig was uns daran gefällt oder warum wir dieses Element nicht mögen und warum es in unserem Augen ein Pixel Movement ist. Diesmal richten wir unser Augenmerk auf Skandalöse Arbeitsbedingungen – Ein Dilemma, das nicht vor der Spielebranche halt macht und auch die Nachwuchsentwickler beschäftigt.
Skandalöse Arbeitsbedingungen plagen die Großindustrie. Ein Widerstreit, der nicht nur seit dem Amazon-Skandal (abermals) ein großes Thema zu sein scheint, sondern immer wieder ihr hässliches Gesicht in der Videospielbranche zeigt. Das kann man anhand konkreter Fälle festmachen. Doch was steckt dahinter, kann man Ursachen benennen und muss man sich deshalb entmutigen lassen, Herr und Frau Nachwuchsentwickler? Die Zwangslage skandalöser Arbeitsverhältnisse ist in letzter Zeit ein hochaktuelles, gar sensitives Thema. Nicht erst seit den Vorwürfen gegenüber dem Großunternehmen Amazon, die insbesondere durch eine Doku seitens der ARD aufgeworfen wurden, wissen wir, dass es bei so manchen Firmen in Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse nicht immer rosig aussieht – selbst wenn die Angeprangerten mit allergrößter Mühe versuchen, das Gegenteil zu behaupten. Doch nicht nur diverse Versandhäuser bergen solch unschöne Tatsachen. Nein, wir erleben die hässliche Fratze einer kapitalistischen Arbeitsordnung auch in der Videospielindustrie – besonders bei den großen Zugpferden der Branche. „Das ist auch kein Wunder, denn die Ursache schlechter Arbeitsbedingungen verbirgt sich hinter dem Problem, dass die Gamesindustrie mittlerweile bei vielen als die große Geldquelle angekommen ist„, meint Robin Kocaurek, Gamedesign-Student der Mediadesign Hochschule in München. Er und seine Kommilitonen haben zusammen das Entwicklerstudio Klonk Games gegründet und wurden kürzlich mit ihrem Spiel Mercury Shift für den Deutschen Computerspielpreis nominiert. Schubsen wir kurzer Hand den Konzern Rockstar als Paradebeispiel ins Rampenlicht der Skandalbühne. Der amerikanischen Großentwickler und Publisher hat sich vor allem durch die populäre GTA-Reihe und seinem Western-Pendant Red Dead Redemption einen Sitz in der Videospielruhmeshalle erarbeitetet. Doch einen Platz unter den mitarbeiterfreundlichsten Videospielkonzernen wird es wohl vorerst nicht geben. Denn in den letzten Jahren wurden wiederholt Vorwürfe gegen Rockstar erhoben, die sich vor allem auf die dortigen als unzuträglich, beinahe schon als skandalös bezeichneten Arbeitsbedingungen beziehen. 2010 – schon bevor der Meilenstein Red Dead Redemption im Mai selbigen Jahres in den Händlerregalen landete – kamen kritische Stimmen auf, dass beim verantwortlichen Entwicklerstudio Rockstar San Diego schlechte, gar unmenschliche Arbeitsbedingungen herrschen.
„Nicht erst seit den Vorwürfen gegenüber dem Großunternehmen Amazon, die insbesondere durch eine Doku seitens der ARD aufgeworfen wurden, wissen wir, dass es bei so manchen Firmen in Hinblick auf die Arbeitsverhältnisse nicht immer rosig aussieht – selbst wenn die Angeprangerten mit allergrößter Mühe versuchen, das Gegenteil zu behaupten.“
Für reichlich Gesprächsstoff sorgte insbesondere ein offener Brief seitens einiger Mitarbeiter und deren Frauen. Darin hieß es, dass die Betroffenen bis zu zwölf Stunden am Tag sowie rund sechs Tage wöchentlich schuften mussten. Nun sind solche regelwidrigen Arbeitszeiten während der Entwicklung von Videospielen durchaus normal – allerdings nur zur kritischen Endphase eines Entwicklungsprozess, der sogenannten Crunch-Time. Das Problem bei Rockstar jedoch lag in der Tatsache, dass solch eine Belastung in Form einer Ausbeutung der Mitarbeiter bereits seit 2009, also weit vor der heißen Entwicklungsphase, an der Tagesordnung war. „Aber darauf läuft es einfach hinaus bei den großen Branchenriesen“, sagt Robin, „da ziehen schon teilweise schlimmere Strukturen ein, als bei anderen marktorientierten Entertainmentprodukten. Ich fürchte, dass es sich teilweise zu einer Art Grundsatz bei vielen großen Studios entwickelt. Da werden wir sicher noch öfter von solchen Fällen hören.“ Erst im Januar hatte sich Barry Maede, ein Ex-Mitarbeiter der britischen Entwicklerfirma Criterion Games, die zuletzt Need for Speed: Most Wanted auf den Markt brachte, über die dort herrschenden überaus harten Arbeitsbedingungen ausgelassen: „[…] Es gab branchenübliche Beschwerden darüber, dass das Team unterbewertet, unterbezahlt und überarbeitet sei.“, behauptete er in einem Interview. Und wohin führen diese branchenüblichen Arbeitsverhältnisse? Nun, im Falle von Rockstar bekamen Mitarbeiter gesundheitlichen Probleme wie Depressionen und Burnout-Syndrom – gar Selbstmordgedanken sollen attestiert worden sein. Hinzu kam die finanzielle Seite: Nebenleistungen wurden gekürzt, Boni eingefroren und Gehaltserhöhungen ausgesetzt. Auch das Betriebsklima unter den Mitarbeiten und Vorgesetzten soll aufgrund unmenschlicher Handlungsweisen nicht unbedingt brillant gewesen sein – ein mittelgroßer Skandal innerhalb der Gamesbranche.
Das in vielen Köpfen generierte Bild der perfekten Spielentwickler und einer coolen Branche bröckelt an vielen Stellen. Denn Fälle von schlechten Arbeitsbedingungen in der Videospielindustrie sind keine Ausnahmeerscheinung – auch wenn es uns anders präsentiert wird, wie Elena Reinertz, ihres Zeichens Gameartist bei Klonk Games, bestätigt: „Die großen Videospielfirmen stellen sich immer von ihrer besten Seite dar. Da bekommt man den Eindruck, dass die Arbeit total entspannt sei, denn in den Promo-Videos sind alle cool drauf, trinken Kaffee und spielen Billard im Gemeinschaftsraum. Aber das kauf ich denen einfach nicht ab.“ Auch langjährige Veteranen der Industrie sehen die Sache ähnlich. So ist nach Ansicht des ehemaligen Free-Radical-Mitgründer David Doak die Lage der Ausbeutung viel schlimmer geworden, seitdem er der Videospielindustrie im Jahr 2008 wegen des großen „Star Wars: Battlefront 3-Dilemmas“ und der damit einhergehenden ausbeuterischen Arbeitsatmosphäre den Rücken gekehrt hat: „Der Traumjob, den ich einst liebte, war zu einer alptraumhaften Folter geworden. Man ist in gewisser Weise auch beinahe offen für Ausbeutung, weil es der eigene Traumjob ist. Es ist einfach wie ein großer Schmelzofen, der die Leute verbrennt. Wenn man gerne Würstchen isst, sollte man nicht sehen, wie sie gemacht werden. Das trifft auch auf Spiele zu.„
In letzter Zeit vergeht sowieso kaum ein Monat, in dem nicht irgendein Entwicklerstudio oder Publisher unter scheinheiliger Fassade Arbeitnehmer aufgrund nicht erreichter Verkaufszahlen oder einem unterdurchschnittlichen Metascore des entsprechenden Spiels entlässt, ausbeutet oder nicht bezahlt – so auch unlängst bei den bereits bankrotten 38 Studios, Entwickler vom letztjährigen Rollenspiel Kingdoms of Amalur, geschehen. Man hatte schlichtweg zu wenig Geld, um die ausbleibenden Zahlungen der Arbeitnehmer zu begleichen, die ohnehin schon ungerechte Überstunden en masse leisteten. Und als schließlich die Entwicklungskosten des Spiels durch die Einnahmen nicht kompensiert worden konnten, wurden alle Mitarbeiter fristlos per Mail gekündigt – inklusive ausstehenden Gehaltsauszahlungen. Doch wie mit dem Fall Rockstar bereits angedeutet, beschränken sich diese Vorfälle keineswegs auf kleine Studio: Vor allem die großen Publisher stehen in Sachen „Arbeitsbedingungen“ oftmals in der Kritik. Auffällig schlecht schneidet hier Electronic Arts ab, wie es auch die letztjährigen Ergebnisse der Online-Abstimmung des bekannten US-Magazins Consumerist zeigen: EA wurde selbst gegen Großbanken und Ölkonzerne zum schlechtesten Unternehmen Amerikas gekürt – was vor allem dem harschen Arbeitsregimes des Unternehmens zu verdanken ist. Durchgehend musste EA in den letzten Jahre rote Zahlen verzeichnen und aufgekaufte Studios wie Bullfrog und Origin wurden wirtschaftlich in den Boden gestampft. Mitarbeitergehälter wurden gekürzt und anderweitige Entwicklerstudios, die zunächst an EAs Portfolio angegliedert waren, wurden kurzerhand geschlossen, die Arbeitnehmer entlassen. In diesem Sinne ist es schon recht amüsant, dass EA den Zusammenschluss von Vivendi Games und Activision im Jahre 2008 mit Kommentaren begleitete, welche den Konkurrenten als ausbeuterischen Arbeitgeber darstellten, der die Individualität sowie Kreativität seiner Angestellten an der kurzen Leine halten würde – dabei werden gerade solche Vorwürfe immer wieder gegenüber EA selbst erhoben. „Deshalb glaube ich, dass ich nie bei einem so großen Entwicklerstudio einsteigen wollen würde. Da frage ich mich: Kann ich mich mit so einem Riesenkonzern überhaupt identifizieren? Nebenbei stell ich mir, wie gesagt, die Arbeitsbedingungen auch nicht sehr produktionsfördernd vor. Ich habe keine Lust den Rest meines Lebens unter ständigem Zugzwang und schlechten Arbeitskonditionen motivationslos irgendwelche Toilettenhäuschen in Modern Warfare zu modellieren„, sagt Robert.
„Man hatte schlichtweg zu wenig Geld, um die ausbleibenden Zahlungen der Arbeitnehmer zu begleichen, die ohnehin schon ungerechte Überstunden en masse leisteten.“
Doch natürlich geht es auch anders und man sollte hier nicht die gesamte Spielebranche durch einen Kakao der Kritik ziehen. Erst kürzlich wurde beispielsweise Valve vom renommierten Spielemagazin EDGE zum weltbesten Entwicklerstudio gekürt. Nicht zuletzt wegen der Arbeitsphilosophie des Studios – denn trotz des Ruhms und der Größe kann sich Valve dem heiklen Thema mit professionellen Mitteln entziehen. „Manchmal scheinen die Dinge im Büro einfach ein bissen zu gut, um wahr zu sein. Wenn du morgens mit einer Schüssel frischer Früchte und einem Espresso runterläufst, deine Wäsche für die Reinigung abgibst und in einen der Massageräume gehst, dann immer mit der Ruhe. All das haben wir hier, damit du es tatsächlich benutzt„, kann man einer digitalen Version eines Handbuchs entnehmen, das angeblich Valve-Mitarbeiter an ihrem ersten Arbeitstag erhalten. Valve hat es sich also wohl schlichtweg erlaubt, einen effektiven Weg zu beschreiten, der auf einem gesunden Arbeitsklima fundiert: „Die achten wirklich sehr auf ihre Mitarbeiter sowie deren Talent und somit ist das Betriebsklima auch entsprechend gut. Ich glaube, die sind allesamt sehr motiviert dort.„, bestätigt Robin. Dies ist wohl auch die Zauberformel für durchwegs qualitative Produkte und folglich hohe Verkaufszahlen: Gesunde Arbeitsverhältnisse und ein motiviertes Entwicklerteam. Doch wer vertritt und sichert solches Wunschdenken in der Videospielbranche? Bis jetzt noch niemand. Denn leider kann bis heute keine existierende Videospiel-Gewerkschaft benannt werden, welche die allgegenwärtige Ausbeutung von Spieleentwicklern präventieren würde – obwohl die Industrie immer größer, immer schnelllebiger und somit immer geldgieriger wird. Ein Problem das auch solch unabhängigen Entwicklerlegenden wie Ron Gilbert kritisieren: „Ich denke nicht dass wir all die Leute in der Branche für gewisse Projekte verpflichten können, wenn es in Zukunft keine Gewerkschaft als Dachverband gibt.“ Im Falle skandalöser Arbeitsbedingungen sehen manche indes Mitarbeiterstreiks und Sammelklagen als einen möglichen Ausweg aus dieser Bredouille. Doch das sollte keine Dauerlösung sein. Das sehen andere Leute aus der Spielebranche ähnlich und gerade deshalb haben sich einige Interessenverbände und Spielentwickler-Vereinigung wie die „International Game Developers Association“ gebildet, welche sich darum bemühen, die Qualitäten der Arbeitsverhältnisse für Entwickler zu verbessern. Die IGDA hat sich diesbezüglich zu einer ernstzunehmenden, festen Größe der Videospielbranche entwickelt, die Themen wie skandalöse Mitarbeiterausbeutung innerhalb der Videospielindustrie verfolgt und versucht entgegenzutreten. Doch auch solche Verbände können nicht mehr tun, als Firmen öffentlich anzuprangern. Und so liegt es an den Publisher und Entwicklerstudios selbst, endlich einen gesunden, vertretbaren Weg zu finden, um die erwünschte Produktivität der Mitarbeiter zu erreichen – ohne diese Auszubeuten. Geschieht hinsichtlich den in vielen Fällen gegebenen skandalösen Arbeitsbedingungen weiterhin nichts, bleibt und wird der Traumjob „Spieleentwickler“ für viele zu einer Folter.