Games are Art: Michael John Cherdchupan

Sind Videospiele Kunst? – Ein Statement…

Lieber Michael, sind Videospiele Kunst?

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In einer vielleicht nicht ganz so unkomplizierten Zeit meines Lebens war ich als Pendler unterwegs und verbrachte nahezu drei Stunden des Tages im Zug. Selbstredend waren da Handhelds meine ständigen Begleiter und vor allem das nach einem langem Arbeitstag wohltuende Abtauchen in virtuelle Spielwelten wurde lediglich von dem pflichtbewussten Fahrkartenkontrolleur unterbrochen. Eines Tages gab es aber eine weitere Unstetigkeit: Eine ältere, durchaus intellektuell wirkende Dame, die gleich neben mir auf dem Fensterplatz saß. Aus dem Augenwinkel vernahm ich, wie sie argwöhnisch das Treiben auf dem oberen, kleinen Schirm des Nintendo DS betrachtete. Ich spielte „The World Ends With You“, ein ausgezeichnetes, irrwitziges J-RPG, das selbst mich als Freund ungewöhnlicher Konzepte zugegebenermaßen etwas verwirrte. Das Ausmaß der Irritation bei der alten Dame konnte ich mir also nicht im Entferntesten ausmalen. Sie tippte mir auf die Schulter und legte eine überraschend ehrliche Frage in meine, soeben vom Kopfhörer befreite Ohren:

„Junger Mann, warum verschwenden Sie damit bloß Ihre Zeit?“

Für einen Augenblick wusste ich nicht, wie ich reagieren sollte. Beinahe brüskiert entgegnete ich:
„Weshalb interessiert Sie denn, wofür ich MEINE Zeit verwende?“
„Meine Enkelin hängt auch immer vor diesem Ding, so völlig gebeugt und mit Scheuklappenblick. Das hat sie mir mal vorgeführt, und ich habe nicht begreifen können, wie man stattdessen nicht einfach ein sinnvolles Buch zur Hand nehmen kann.“
„Hmm …“
„Das Zeug da auf ihrem Bildschirm, das kann doch niemals den Geist stimulieren. Das kann niemals Kunst sein!“

Aha, da lag der Hund also begraben. Ich klappte den DS mit einer schon fast provokanten Geste zu und schaute die Dame eindringlich an. Ihr Blick verriet mir, dass sie es völlig ernst zu meinen schien. Für ein paar Sekundenbruchteile schossen mir ein paar Spekulationen über die Enkelin durch das Hirn, aber die wenig fundierten Gedanken verflogen ebenso schnell wie die hinter der Dame im Fenster vorbei rauschende, zu Streifen verschwimmende Landschaft. Mir kam dann eine spontane Idee.
„Kunst … sagen Sie, mögen Sie Picasso?“

„Natürlich!“
„Van Gogh?“
„Ein Meister!“
„Abramović?“
„Sperrig, aber wichtig.“
„Beuys?“
„Nun …“

Ein Zögern. Ich war auf dem richtigen Weg.
„Sagen Sie bloß, Sie können sich mit Beuys nicht richtig anfreunden?“
„Wenn Sie mir vermitteln können, was an einer Zitrone in einer Glühbirnen-Fassung Kunst sein soll, würde ich meine Meinung vielleicht ändern.“

Ich musste grinsen. Ganz genau wusste ich, was die alte Dame meinte.

„Ich möchte ehrlich sein.“ sagte ich. „Die Capri-Batterie hat mich auch zunächst irritiert, bis die Grundidee, die Metaebene endlich zu mir vorgedrungen ist. Aber Fakt ist, dass Beuys sich Ansehen und den Status als Künstler erarbeitet hat. Wenn auch mit so kuriosen Dingen wie einer verdreckten Badewanne.“

„Ja, das muss man diesem Beuys schon lassen: Er hat die Menschen bewegt. Auf seine Weise.“
„Sehen Sie?“
Ich grinste triumphierend. Leider zu früh, denn sie konnte mir nicht folgen. Also setzte ich noch einmal an:

„Man sagt gerne, Kunst liegt im Auge des Betrachters. Ich würde aber vielleicht sogar hinzufügen, dass alle von Menschen geschaffenen Werke, welche die potentielle Fähigkeit besitzen ihre Rezipienten emotional zu bewegen, auch Kunst sein können, nein, streng genommen sogar Kunst sind, solange der Betrachter sie als solche auffassen möchte.“

Zwei ratlose Augen schauten zurück. Da fehlte noch etwas.
„Nun … schauen Sie mal hier …“
Ich deutete mit meinem Stylus auf den Bildschirm, auf dem gerade ein Dialog zwischen zwei Charakteren vonstatten ging.

„Irgendjemand hat sich diese beiden Charaktere ausgedacht. Jene Person hat sich überlegt, wie diese Figuren sprechen, was sie erlebt haben, wie diese Schlüsselereignisse sie geformt haben, wie sie daraufhin handeln werden. Der Autor ist mit den Charakteren ausgegangen, hat sich mit ihnen unterhalten, Fragen gestellt, sich gezankt, gelacht, gezweifelt, erforscht und Schlüsse gezogen.“

„Was sie nicht sagen …“

„Worauf ich hinaus will, ist: Was sie hier sehen, ist von Menschen geschaffen, mit dem Ziel, andere Menschen zu erreichen. Jemand hat es erdacht, ein anderer gezeichnet. Dazu komponierte wieder ein anderer die Musik, und ebenso hat eine weitere Person all das im Programmcode zusammengefügt. So ein Computerspiel ist eine tolle Zusammenarbeit von vielen Handwerkern und Künstlern. Manchmal entstehen dann Spiele, die vielleicht nur unterhalten wollen, bisweilen entfaltet sich da jedoch auch mehr. In jedem Fall bewegen Spiele aber eine ganze Generation, die sich stark damit identifizieren kann.“

„Ich verstehe so langsam …“
„Deshalb, um auf Ihre Frage zurückzukommen, verwende ich meine Zeit dafür. Weil ich in Spielen die Menschen erkenne, die sie geschaffen haben. Nicht immer, aber manchmal erzählen sie mir etwas, vermitteln etwas …
„… wie in der Kunst.“
„Genau!“

Es hätte mir eigentlich peinlich sein müssen, so unverschämt breit war mein triumphierendes Grinsen geworden. Aber es wurde erwidert. Die Skepsis der alten Dame wandelte sich vielleicht nicht zu Einsicht, aber immerhin war die Ablehnung aus ihrem Gesicht verschwunden.

„Nun gut, junger Mann …“ sagte sie dann. „Den Reiz an Spielen haben sie mir ja jetzt erfolgreich vermittelt. Aber die Sache mit der Glühbirne und der Zitrone müssen sie mir trotzdem noch einmal genauer erläutern.“

Ich lachte. Und nach einem fast schüchternen Zaudern lachte die alte Dame herzhaft und ehrlich mit.

Vielen lieben Dank Michael!

Michael John Cherdchupan ist freiberuflicher Autor. Nun, das ist zumindest die kurze Version, die auf seine Visitenkarte passt. Tatsächlich hat Michael sich während seines erfolgreich abgeschlossenen Filmstudiums nicht nur an der Produktion von Kurzfilmen versucht und nebenher journalistisch für ZDFkultur gearbeitet, sondern er nimmt sich neben den dramaturgischen Schreibaufgaben mittlerweile auch dem Sound- und Game Design von Spielprojekten an. Im Herzen ist Michael Cherdchupan ein Geschichtenerzähler und er begeistert sich für die jeweiligen, mannigfaltigen Möglichkeiten von Spiel, Film, Hörspiel und Belletristik, um eine gute Erzählung transportieren können. Auch wenn Michael gerne lange Prosatexte schreibt, die ganz nach seiner Nase gehen, liebt er den gegenseitigen Austausch im Team. Wenn alle gemeinsam an einem Strang ziehen, kann Großes entstehen! Von 2012 bis 2014 war Michael freier Redakteur der Gaming-Sendung Pixelmacher, leider wurde das grandiose Konzept der Sendung, nach knapp zwei Jahren wieder eingestellt. Was persönliche Präferenzen bei Spielen betrifft, ist Michael ein großer Freund von ungewöhnlichen Konzepten und Horrorspielen, vor allem aber Werken, die Charakter, eine eigene Identität haben. Als Co-Moderator vom täglichem Podcast Insert Moin, teilt er seine Leidenschaft mit den Zuhörern und schreibt zudem auf auf Kollisionsabfrage weitere Artikel. An den Videospielen Ranbow Skies und Oh My Gore! arbeitete Michael als Game Writer und hilft auch gerne mal an Soundeffekten. Im Moment werkelt er wieder als Game Writer, zu einem noch unangekündigtem Spiel aus dem Hause Kalypso. Am Horror-Survival-Adventure DreadOut, war Michael sogar als Co-Executive Producer beteiligt. Wenn Ihr Euch für weitere Arbeiten von Michael John Cherdchupan interessiert, so findet Ihr sein Portfolio HIER.

GamesArt.de bedankt sich bei Michael John Cherdchupan für die freundliche Zusammenarbeit und die Unterstützung unsere Serie Games are art.

Autor: Davis Schrapel

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