Durchgespielt: Halo 5

Wer damals in der guten alten Zeit meinen Test zu Halo 4 (GamesArt Test Halo 4) gelesen hat, der wird sicher noch wissen, dass ich von der Geschichte des Spiels mehr als positiv überrascht war. Halo, das scheinbar nur zum Schmettern von Heldenplatitüden fähig war, konnte auf einmal sehr persönlich und klein werden. Es ging nicht mehr „nur“ um die Rettung des Universums sondern hauptsächlich um Verlustängste, die Furcht vor Wahnsinn und Tot – und die Frage was den Menschen zum Menschen macht. Sind künstliche Intelligenzen, die vor ihrem Verfallsdatum Angst simulieren genauso menschlich zu behandeln, wie ihre Konterparts aus Fleisch und Blut? Das Zusammenspiel des stoisch mechanischen Master Chiefs und der verletzlichen KI Cortana hat mich damals echt beeindruckt. Halo wurde für mich plötzlich zu einem emotionalen Universum. Als mit viel Tamtam der Release von Halo 5: Guardians näher rückte, kochte die Fangemeinde ob der vielen Realfilmchen, die den Master Chief als Verräter und Mörder darstellen. Wegen ihm seien tausende Unschuldiger gestorben und Spartan Locke würde ihn dafür hingebungsvoll bis zum Äußersten jagen. Das machten vor allen diese Werbefilmchen klar. Ich wusste: „Mann, jetzt wird’s ernst!“ Halo würde vielschichtig und doppelbödig werden. Nichts würde sein wie es scheint betonte 343 Industries stets. Mir war klar, dass nur eine Spur von Cortana den entmenschlichten Helden aus seiner festgefahrenen Rolle als Befehlsempfänger reißen konnte. Um sie zurückzuholen würde er über Leichen gehen. Schließlich hat sie sich im Finale des vierten Teils für ihn geopfert. Ein Moment, den Fans der ersten Stunde durch Mark und Bein ging.

Und Spartan Locke? Der wurde in zwei kleinen Cutscenes der Master Chief Collection und der total drögen Serie Nightfall eingeführt: Ein Berufssoldat mit mäßig Freiraum für eigene Meinung solange sie dem übergeordneten Ziel dienen. Es wäre interessant zu beobachten auf welche Weise Locke dazu getrieben wurde, hasserfüllt den gefallenen Helden niederstrecken zu wollen. Jetzt habe ich Halo 5 hinter mir und kann bloß sagen: PUSTEKUCHEN!

Dieses Selbstverständnis auf Seiten der Autoren macht mich wütend. Dass sie die Spieler wortlos in ein sich aufgefaltetes Szenario schmeißen und davon ausgehen, dass die sich schon um ihr Hintergrundwissen gekümmert haben, könnte man für mutig halten. Mich vergrault es vielmehr, weil ich das Gefühl habe, dass das Spiel keine eigene Identität hat. Aber es gibt genug Neues: Der Chief wird während der zweiten Mission in einer Vision von Cortana gerufen. Was es mit dieser Vision genau auf sich hat wird nicht erklärt. Macht aber nichts, schließlich hatten die beiden bereits in Halo 3 einen dicken Draht zueinander. Dieser Lockruf lässt den darbenden Helden und seine Gefährten ihre Befehle ignorieren und suchen auf eigene Faust ihre alte Freundin. Mehr macht der Master Chief nicht. Keine Morde, die er begeht. Keine Totesopfer, die er bereitwillig auf dem Weg zu seinem Ziel in Kauf nimmt. Kein Verrat an der Menschheit. Er kehrt einfach nicht zum Mutterschiff zurück, als man es ihm befiehlt. Mehr nicht. Und Locke ist genauso wenig ein rachelüsterner Scharfrichter, wie der Chief ein Verräter. Locke und sein Feuerteam sind einfach die Kindergärtner, die die Ungehorsamen wieder nach Hause holen sollen. Hass oder ähnliches ist nicht im Spiel. Ganz im Gegenteil: In einem Dialog zwischen Locke und seinem Kollegen Buck wirken sie sogar ehrfürchtig den Helden der Menschheit zu jagen und so müsse man den Auftrag einfach professionell ausführen. Auch zu einer großen befriedigenden Konfrontation kommt es nicht. Zwar kommt es einmal zu einem spannendem aber kurzen Handgemenge der beiden Hauptfiguren, sonst treffen die beiden Teams aber nur zwei weitere Male zusammen – und das auch noch gar nicht mal so spektakulär. Von wegen Menschenjagd, denn bald stehen sie auf derselben Seite und bald geht es nur noch darum was Cortana im Schilde führt.

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Ihre Absichten bleiben lange im Dunkeln. Sie lotst das Team durch die unmöglichsten Orte mit dem Versprechen eines Gesprächs Aug in Aug. Diese Hinhaltetaktik dauert aber viel zu lange. Genauer gesagt die komplette Spielzeit. Nur häppchenweise werden irritierende Infos preisgegeben. Cortana habe nach ihrem Ableben es ins scheinbar allgegenwärtige Netzwerk der Blutsväter geschafft, der Domäne, wodurch sie ihren verfallsdatumsbedingten Wahnsinn heilen konnte. Nun erweckt sie die namens-gebenden Wächter, die einer Art antiker Aufpasser waren, die über Sonnensysteme wachten und Aufstände niederschlugen. Ihre Motivation bleibt lange unbekannt. In der Zeit werden wir auf mit tausenden Gegnern und dem Ewigen Wächter beschäftigt. Diese Nervensäge von einem wieder und wieder aufgewärmten Endgegner will Cortana gegen ihren Willen schützen. Die ständigen Streitereien zwischen Cortana und ihrem Babysitter werden mir schnell nervig, weil sich zu oft wiederholen. Ganz am Ende werden aber doch noch Cortanas Absichten klar: Sie will mit Hilfe der Wächter Frieden im Universum erzwingen ganz gleich wie hoch der Kollateralschaden ausfällt. Die heilige Aufgabe der Blutsväter, über alles Leben in der Galaxie zu wachen, müsse an „die Erschaffenen“ übergehen. Sie schafft es, alle KIs auf ihre Seite zu ziehen und so zumindest die Menschheit scheinbar unter ihre Kontrolle zu bringen.

Während ich das hier schreibe, kommt mir Cortana als neue Gegenspielerin als gute Idee vor. Halo 5 schafft es zwar ihre Gründe anzureißen, ihre Handlungen wirken aber out of character. Sie passen nicht zu ihr. Das Spiel packt es kein bisschen den Wandel von der Helferin, der guten Freundin, der Dienerin der Menschheit zu einer Art Skynet des Halo-Universums nachvollziehbar zu machen. Was hätte man machen müssen, um diese Nachvollziehbarkeit zu erreichen? Zeit vollmachen! Die Autoren vernichten viel zu viel Zeit mit Nichtssagendem Blabla. Viel zu oft schieße ich einfach vor mich hin und es wird kein wichtiges Wort verloren, wenn überhaupt. Und viel zu lang werde ich einfach nur von der Geschichte mit Gameplay hingehalten. Prägnant sind dabei die letzten beiden Missionen, die uns einfach Gegnerwelle um Gegnerwelle in den immer gleich aussehenden Räumen vorsetzt, während Cortana vom groß-mundig angekündigten Treffen mit ihr schwadroniert. Ja werde ich denn verarscht? Ich komme mir vor wie ein Kind, das endlich die Wahrheit über Bienen und Blumen wissen will und von den Eltern zur schnellen Ablenkung zum tausendsten Mal den gleichen Animationsfilm, den ich es mittlerweile auswendig kennt, vorgesetzt bekommt. Die eben erwähnten Enthüllungen geschehen in den letzten Minuten des Spiels. Ich baller mich stundenlang durch eine schleppend erzählte Handlung ohne konkrete Ansagen, aber mit blassen Charakteren nur um auf den letzten Drücker eine mäßig aufgebautes Finale vorgesetzt zu bekommen. Wenn 343 die Spannungskurve Geschichte ähnlich aufgebaut hätte, wie ihre irreführende Marketingkampgne, hätte die Geschichte zumindest unterhaltsam sein können. So habe ich einfach das Gefühl, dass ich während ca. 10 Stunden viel Spiel und auch Spaß hatte, aber erschreckend wenig Story und damit verbundene Tiefe. Halo 4 machte schnell und zu passenden Zeitpunkten klar, was Sache ist. Bei Halo 5: Guardians bin ich immerhin froh, dass das Spiel irgendwann mal was auf den Punkt gebracht hat. Oder zumindest mit schlaff erhobenem Arm drauf gezeigt hat. Denn das sehr leicht erweiterte Legendary-Ending lässt darauf schließen, dass Cortana, als Gottgleiche Computerintelligenz, die sie jetzt darstellt, die Halo-Ringe aktivieren kann.

Bei jedem Ende eines Halos hatte ich das befriedigende Gefühl etwas erlebt zu haben. Etwas Lohnenswertes und schlicht Cooles. Dieses Mal habe ich das zutiefst unbefriedigende Gefühl die ganze Zeit auf einen Cliffhanger hingearbeitet zu haben. Vor allem aber bleibt mir die Frage wie viel Gutes man hätte in der gleichen Zeit erzählen können.

Autor: Tim Hildebrandt

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