Die 60er Jahre scheinen eine goldene Dekade für die Achsenmächte zu werden: „Die Käfer“ feiern einen Riesenerfolg mit ihrem auf Neumond Records erschienen Super-Hit „Mond, Mond, Ja, Ja“, das vom Regime besetze Kroatien entwickelt sich zu einem beliebten Urlaubsort für die Deutschen und auch sonst – sei es politisch oder wirtschaftlich– haben die Braunen alles im Griff. Einen Moment … warten Sie mal werter Herr Berichterstatter. Habe ich da gerade tatsächlich Nazis gehört? In den 60ern? Jawohl, korrekt erfasst: Nazis, überall Nazis. Nazi-Diktatoren, Nazi-kontrollierte Satellitenstaaten, Nazis auf dem Mond und bald auf der Venus, Nazi-Mechs und Roboter-Nazi-Kampfhunde. Das alles und viel mehr gibt es in Wolfenstein: The New Order, das inzwischen neunte Spiel einer Shooter-Serie, die eigentlich ja in den 80ern mit einem 2D-Abenteuerspiel begann, dann aber mit ihrem dritten Teil Wolfenstein 3D, allgemein auch als erster Ego-Shooter der Videospielgeschichte angesehen, bekannt wurde. Und das Studio id Software zur Entwickler-Legenden machte.

„Und, hach, ist das Regime wunderbar geisteskrank und skurril im neuen Wolfenstein karikatiert. Man schaue sich nur einmal die unverblümt rassistische Nazi-Dame Frau Engels an – Tarantino lässt hier abermals grüßen.“

Es ist also das Jahr 1946. Die Nazis stehen kurz vor ihrem Sieg – dank ihrer technologischen Überlegenheit: Riesige Mechs, Roboter-Kampfhunde und andere Tech-Spielerein geben den Nazis klar den Vorteil über die Alliierten. Mittendrin befindet sich der gut, alte William „B.H.“ Blaszkowicz und sein arg dezimierter Soldanten-Trupp auf der Jagd nach dem verrückten General Totenkopf (der direkt aus der genialen Feder Quentin Tarantinos entsprungen sein könnte). Ein letzter verzweifelter Angriff der Amerikaner, um den Krieg vielleicht doch noch zu Gewinnen. Kurz vor der Erfassung des Regime-Schurken passiert das, was nun mal zwangsweise passieren muss, um eine spannenden Plot und den zweiten Akt einläuten zu können: Blaszkowic und seine Kumpanen versagen, Totenkopf entkommt, die Amerikaner werden vernichtet und B.J. durch die Folge einer Explosion am Kopf verletzt. Doch natürlich überlebt der Held und findet sich prompt in einer Nervenanstalt wieder. Diagnose: Wachkoma. Für 14 Jahre befindet sich Blaszkowicz in diesem prognostizierten Status. Bis die Nazis an der Tür klopfen, die Anstalt samt Personal verbrennen und den Killer in ihm wieder erwecken. Willkommen im Jahr 1960, willkommen in einer Welt, in der die Nazis die Welt regieren.

Das Ganze dauert gut eine Spielstunde und dient als Einleitung in die Mechanik und Geschichte von Wolfenstein: The New Order, fällt aber im Gegensatz zum Rest der Geschichte ziemlich ab. Für meinen Geschmack einfach etwas zu langatmig. Aber das ist kein Beinbruch – denn dafür steigt der Spaß nach erfolgreichem Absolvieren des Prologs umso schneller gen Maximum. Denn Blaszkowic fackelt gemäß seiner Natur nicht lange und zieht sogleich in insgesamt 16 Kapiteln – die von riesigen Nazi-Festungen über Unterwasserwelten bis hin zum Mond viel an Abwechslung in Bezug auf die Schauplätze zu bieten haben – in den Kampf, um den Widerstand aus den Regimeklauen zu befreien und mit den verbündeten Kämpfern den skurril-gruseligen General Totenkopf und sein Regime-Gefolge zu töten. Hurra, das Gute muss wieder über das Böse siegen. Dabei wird die Geschichte in handwerklich sauber und cineastisch toll gemachten Cutscenes erzählt.

Die regelmäßig eingeworfenen Zwischensequenzen werden des öfteren durch innere Monologe B.J.s begleitet und geizen dabei nicht mit dick aufgeschmierten Pathos. Meiner Meinung nach rückt dieser Pathosschmalz die Seele von Blaszkowicz einfach nur in ein menschlicheres Licht und man sieht als Spieler dadurch weniger die ausgebildete Kampfmaschine vor sich, als vielmehr einen Protagonisten, der mal mehr oder mal weniger nachvollziehbare menschliche Charakterzüge besitzt. Ähnlich viel Gesicht zeigen auch die Nebenfiguren (sei es auf der guten oder bösen Seite), die allesamt nicht nur richtig professionel lokalisiert und vertont wurden, sondern ebenso eine nette Hintergrundgeschichte zu erzählen haben und damit auch Tiefe besitzen. Und, hach, ist das Regime wunderbar geisteskrank und skurril im neuen Wolfenstein karikiert. Man schaue sich nur einmal die unverblümt rassistische Nazi-Dame Frau Engels an – Tarantino lässt hier abermals grüßen.

Spielerisch kommt Wolfenstein: The New Order richtig oldschoolig daher – und das gefällt sehr. Denn was in erster Linie von Entwickler Machine Games in Wolfenstein: The New Order serviert wird, ist ein waschechter Ego-Shooter der alten Schule, der die ganzen neumodischen Entwicklungen, über wiegend eingeführt und popularisiert durch solch erfolgreiche Shooter-Serien wie Halo oder eben Call of Duty, ganz bewusst nicht mitmachen will. Selbstheilung? Fehlanzeige. Medipacks? Jawohl. Nur zwei Waffen gleichzeitig tragen dürfen? Nix da: Das komplette Waffenarsenal darf Blaszkowicz zu jeder Zeit mit sich tragen und jede Waffe kann sogar im Dual-Wield-Mode, also im Doppellauf, gefeuert werden. Das ist euch noch nicht oldschoolig genug? Bitteschön: Medipacks müssen genau wie Munition und Rüstung einzeln per Knopfdruck aufgesammelt werden – man sollte also seinen Forscherdrang in den Levels freien Lauf lassen und die Umgebung stets nach etwaigen Gegenständen absuchen. Und Kisten, ja, die sind in The New Order sehr wichtig – denn die kann man zerstören, um an weiter Munition und andere Gegenstände zu gelangen. Jawohl, Oldschool durch und durch!

ZENSUR DER DEUTSCHEN VERSION & MULTIPLAYER

Für die deutsche Version wurden sämtliche verbotene und verfassungswidrigen Symboliken, Embleme und Abzeichen (also beispielsweise die Hakenkreuze) entfernt. Darüberhinaus werden die Nazis nicht als Nazis, sondern schlich als „Das Regime“ bezeichnet, was sich – wenn auch nur marginal – auf die Dialoge auswirkt. Bezüglich einer etwaigen Zensur von Gewaltdarstellungen wurde allerdings von der USK nichts unternommen – alles ist in dieser Hinsicht so belassen worden, wie es vom Entwickler intendiert wurde. Splatter-Effekte und Blut sind demnach auch in der deutschen Version zu sehen und definitiv nichts für Minderjährige! Ganz nach Motto „Wir sind Oldschool!“, das irgendwie für das komplette Spiel gilt, gibt es in The New Order keinen Multiplayer – weder lokal noch online. Manche find das sicher schade, ich allerdings dahingehend gut, dass die Entwickler mehr Zeit in den Polish des Singleplayers investieren konnten.

Dennoch hat sich das Team von Machine Games auch ausgiebig darüber Gedanken gemacht, wie man das alltägliche Shooter-Leben eines kompromisslosen Nazi-Killers etwas abwechslungsreicher gestalten könnte. Klar, ihr könnt natürlich brachial wie üblich mit zwei Sturmgewehren und Panzerfaust bewaffnet die Tür eintreten und so gegen die Horden an Nazi-Fußsoldaten und Roboter-Kampfhunden den Kampf angehen. Aber man könnte sich genauso gut auch eine Alternativroute suchen, dabei vielleicht einen Lüftungsschacht finden, und die Nazis ganz leise im Schleichmodus per Messer oder Schalldämpferpistole den Gar ausmachen – ohne den Alarm ausgelöst zu haben, der nur noch mehr der Regime-Schergen anlocken würde. Immer wieder gibt es auch Abschnitte in denen Blaszkowicz auf kleine optimierte Supersoldaten oder Riesenroboter trifft, welche quasi die obligatorischen Minibosse mimen. Das andere Mal wiederum muss B.J. sich hinter die Steuerung eines Mechs setzen, vor einem riesigen und sabbernden Nazi-Roboter-Kampfhund fliehen oder mit einem Seil an Steilwänden hinaufklettern, während auf hinter Fenstern lauernde Nazi-Soldaten geschossen wird. Sehr cool und sicherlich als Pause zwischen Baller- und Schleichanlagen gedacht sind auch die Klospühlungen, die Balzkowizc betätigen, sowie das Herzblatt Anja mit welcher der Held rum-knutschen darf. Spaß bei Seite gelegt: Die Entwickler haben sich noch viel mehr solcher (sinnvollen und –freien) Spielabschnitte einfallen lassen, die das übliche Baller-Geschehen gehörig auflockern. Apropos Abwechslung: Zu Beginns des Spiel müsst ihr eine harte Entscheidung treffen, welche den weiteren Verlauf der Story beeinflusst und damit auch den Wiederspiel-Wert erhöht. Zwar fallen die Unterschiede nicht so gravierend aus, wie sie es vielleicht in anderen Spielen tun würden, aber dennoch reichen diese aus, um euch für einem zweiten Durchgang zu überzeugen. Der Schwierigkeitsgrad darf übrigens nicht nur vor dem Start, sondern auch jederzeit während der Kampagne geändert werden. Hierbei könnt ihr zwischen fünf Stufen wählen. Wer es relaxt angehen möchte, der wählt „Darf ich spielen, Papi“; wer den harten Rambo mimen möchte, Saddonist ist und vor keiner Herausforderung zurückschreckt (oder Halo schon einmal auf „Legendary“ im Alleingang durchgespielt hat) dem dürfte die höchste Stufe sehr gut gefallen. Je nach Wahl vertragen dann auch die Gegner mal mehr, mal weniger Blei. Leider ist das Regime-Pack – und da spielt auch nicht die Wahl des Schwierigkeitsgrades eine große Rolle – nicht so intelligent, wie man vielleicht meinen würde (immerhin haben die Schergen ja die Welt unterjocht), und laufen euch immer wieder vor die Flinte. Aber das ist vielleicht auch einfach nur so gewollt – ein Shooter der alten Schule eben; und immerhin muss ja Kanonenfutter für den Spieler da sein. Nun gut, ganz dämlich stellen sich die Nazi-Soldaten dann auch wieder nicht an, denn immerhin gehen sie brav in Deckung und nutzen Blaszkowiczs Feuerpausen, um selber mal zurück zuschießen.

Wie schon die vorherigen Teile spielt Wolfenstein: The New Order in einem alternativen Universum in dem die Nazis 1945 nicht besiegt wurden, sondern so ziemlich kurz davor sind den Sieg über die Alliierten nach Hause zu fahren. Und damit ist Wolfenstein: The New Order hinsichtlich seiner Hintergrundgeschichte und im Gegensatz zu so vielen Serien, die sich den zweiten Weltkrieg und das Dritte Reich zum Thema ihres x-ten Weltkriegs-Shooters nehmen, recht originell.

Eine kleine Besonderheit in dem recht überschaubaren und eher wenig spektakulären Waffenarsenal von Wolfenstein: The New Order ist dabei das sogenannte „Laserkraftwerk“, welches man im Verlauf des Spiels auch weiter aufrüsten kann. Primärer Zweck dieser Waffe: Zäune, Gitter, Ketten und anderweitige Hindernissen aufschweißen. An und an sich eine spannende Idee, leider gestaltet sich der Einsatz dieser Waffe ziemlich lästig und unhandlich, da man Formen selber ausschweißen muss (was prinzipiell ja spaßig klingt). Setzt man jedoch falsch an, dann passt Mann halt nicht durch die Öffnung und dann muss schlicht und einfach mehrmals nachjustieren werden. Nervig! Vor allem auch in der Hinsicht, dass man die Waffe nur an den dafür vorhergesehen Stellen benutzen kann. Da ist in dieser Hinsicht nicht viel mit spielerischer Freiheit…

Besser gefällt da schon das eigenwillige Levelsystem in Wolfenstein: The New Order. In solch Kategorien wie Heimlichkeit, Taktik oder Angriff kann man mehrere Perks und Boni durch das Erfüllen bestimmter Aufgaben freischalten (töte 20 Regimetruppen durch eine Granate und solche Sachen) die zum Beispiel dann die Feuerkraft der Waffen verstärken oder das Schleichen vereinfachen. Doch wie sieht’s mit der Technik des neusten Ablegers der Wolfenstein-Serie aus? Nun, die Grafik setzt – in unserer PlayStation 4-Testversion – in Bezug auf Texturen, Beleuchtung und Partikeleffekte oder gar Level-Geometrie keine neuen Maßstäbe. Dennoch kann man sagen, dass Wolfenstein: The New Order sehr gut aussieht und auch stabil in 60 Bildern pro Sekunde bei 1080p läuft. Da gibt es also wenig zu meckern. Allerdings sind die Gesichts-Animationen der Charaktere in den Cutscenes tatsächlich etwas leblos und steif animiert. Realistische Züge und Animationen der Gesichter wie in, beispielsweise, Beyon: Two Souls oder The Last of Us sollte man also keinesfalls erwarten. Der Soundtrack und musikalische Untermalung mit dem hauseigenen Plattenlabel der Nazis, das den grandios erfundenen Namen Neumondrecords trägt und bekannte Interpreten der realgeschichtlichen Zeit in eine parodieartige, Regime-eigene Version verwandelt, ist dafür durchwegs grandios. Und so werden hauptsächlich die Cutscenes aber auch gelegentlich das Geschehen im Spiel selbst mit solch wunderbar lauschige Evergreens von Interpreten wie Vitor & Die Vokalisten, Die Schäferhunde oder auch der grandioseb Schwarz-Rote Welle toll vertont.

 

 

Wolfenstein: The New Order will kein moderner Aufguss des Ego-Shooter-Genres sein. Ist das Spiel auch nicht. Und das ist auf eine merkwürdige Art und Weise sehr erfrischend und gefällt sicherlich nicht nur mir. Vor allem die Story und die Charaktere sind genau nach meinem Gusto, was ich von einem brachialen Action-Shooter ja nicht unbedingt erwarten würde. Genauso überraschend und positiv ist die Abwechslung, die Wolfenstein: New Order neben all der Rambo-Ballerei zu bieten hat. Und auch das Szenario ist so herrlich abgedreht, dass es wirklich wieder mal Laune macht abermals Nazis zu umzulegen – und auf Mond-Nazis zu schießen macht ja eh immer Spaß. Abzüge gibt es allerdings für den langweiligen Prolog und den unausgereiften Einsatz des Schweißwerkzeuges. Ein Durchlauf dauert übrigens ca. 12 Stunden, was ich für einen Shooter als ordentliche Leistung erachte. Und ein zweiter Durchlauf ist dank der zwei leicht verschiedenen Handlungsstränge auch drin. Daumen hoch!


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Autor: Matthias Kraut

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