Es ist dunkel, sicher schon Abend. Das Licht der Straßen São Paulos glimmt in ein großes Hotelzimmer. Das Zimmer ist geräumig und bietet genug Platz zum Wohlfühlen. Doch wohl fühlt sich hier niemand. Der derzeitige Bewohner hat seit einiger Zeit kein Glück mehr fühlen dürfen. Er sitzt in seinem Raum in Gesellschaft mehrerer Flaschen Whiskey, die er zuerst Glas um Glas, später Schluck um Schluck aus der Flasche, leert. Gelegentlich kauert er sich auf den Fußboden und weint, als ob er es sein ganzes Leben lang nicht gedurft hatte. Schließlich wankt er zum Küchenschrank und schmeißt sich eine Handvoll Schmerztabletten ein, die sogleich mit Hochprozentigem in den gebeutelten Körper geschickt werden. Manchmal endet so ein Feierabend würgend an der Spüle oder mit einem zerschmetterten Glas in der Hand. Jeden Abend das gleiche Spiel. Aber der darauffolgende Tag beginnt immer gleich: Verkatert und die Welt ist immer noch die Selbe. Dieses Wrack von einem Mann ist kein Fremder. Er ist ein alter Bekannter, den wir seit verdammt langer Zeit nicht mehr gesehen haben. Dieser Mann ist Max Payne!
Max Payne, Ex-Cop und Mafiaschreck des NYPD, von der Ermordung seiner Frau und seiner Tochter innerlich, von der daraus resultierenden Alkohol- und Pillensucht auch äußerlich gezeichnet. Von Kumpel Raul Passos von New York in die brasilianische Metropole São Paulo gebracht worden, arbeiten die beiden als Bodyguards für die Familie Bronco. In einer Stadt in der der Unterschied zwischen Arm und Reich größer nicht sein kann und Korruption und Kriminalität die Straßen beherrschen, benötigt eine Sippe wohlhabender Geschäftsmänner, Politiker und Playboys sicherlich speziellen Personenschutz. Als bewaffnete nämlich Bandenmitglieder Fabianna, die Frau des Familienoberhauptes Rodrigo Bronco entführen und scheinbar paramilitärische Einheiten beide Seiten bei einer Lösegeldübernahme unter Feuer nehmen, bricht ein nicht enden wollender Sturm aus Gewalt, Intrigen und Tot los. Wer sind die Banditen? Waren sie nur aufs Lösegeld aus? Wer sind diese geheimnisvollen Spezialeinheiten? Was sind ihre Motive? Was haben die Broncos mit ihnen zu tun? Und mittendrin versucht unser depressiver Antiheld mit vielen Patronen und wenigen Worten Portugiesisch im Gepäck die Antwort auf all diese Fragen zu erhalten.
Die Story rund um den verbitterten Max, der sich einmal mehr im Sumpf der Gewalt wiederfindet, ist von vorne bis hinten spannend, emotional und wendungsreich erzählt. Dabei dient der Protagonist uns als emotionaler Anker. Egal, was in der Geschichte geschieht, wir bekommen stets 100% Payne. Seine Ratlosigkeit, seine Ängste, seine Selbstzweifel. Sei es in den begleitenden Monologen, die uns während des Spiels begleiten oder in den toll inszenierten und animierten Cutscenes. Letztere sind von einem bestimmten stilistischen Kniff bestimmt: Immer wieder wird das Bild verzerrt oder farblich manipuliert und ab und zu werden Schlagworte in den Dialogen optisch hervorgehoben. Das mag in Verbindung mit den coolen Comic-Strips der Vorgänger etwas gewöhnungsbedürftig sein. Der ungewöhnliche visuelle Stil passt aber hervorragend zum instabilen mentalen Zustand des Protagonisten.
Doch nicht nur Max ist glaubwürdig gezeichnet. Auch der Rest der Charakterriege wirkt mit ihren unterschiedlichen Ansichten, Ticks und Wegen mit der extremen Brutalität umzugehen durch die Bank authentisch. Sogar für Humor ist manchmal inmitten aller Ernsthaftigkeiten Platz.
Kommen wir an einer Stelle partout nicht weiter liegt das allein an unserer nicht fruchtenden Taktik. Das Spiel hilft uns bei frustigen Stellen nach einiger Zeit sogar unter die Arme, entweder durch zusätzliche Munition oder weitere Painkiller. Diese Schmerzmittel sind für uns überlebenswichtig, füllen sie doch unsere Gesundheit wieder auf oder erlauben uns kurz vor dem Exitus einen letzten Gegner zu erwischen. Misslingt uns dies ist das Spiel vorbei und ihr startet bei einem der fair verteilten Speicherpunkte neu. Mr. Payne tut also gut daran die Levels gründlich zu durchstöbern, um Painkiller, seltene Waffenteile oder Hinweise, die Hintergründe zur Story erklären, einzusammeln.
Der blutige Shooter-Alltag wird durch gelegentliche Fahrzeugeinlagen in denen wir per Boot oder Auto als Beifahrer einen Haufen Bösewichte abwehren müsst, aufgelockert. Auch Escort-Abschnitte in denen wir Begleitfiguren beschützen müssen tauchen genauso auf, wie Zeitlupenszenen bei denen Max hilflos durch die Gegend gezogen (Seilwinden), gefahren (Aktenwägen) oder geschleudert wird, und dabei möglichst alle Feinde erwischen muss, auf. Diese Sequenzen kommen in den Levels hier und da kurz vor und haben eine relativ angenehme Wirkung auf den Rest des Gameplays.
In technischer Hinsicht gibt sich Max Payne 3 keine Blöße. Mit der hauseigenen Rage-Engine schafft es Rockstar Games ein durch und durch beeindruckendes Gesamtbild auf den Fernseher zu zaubern. Die Umgebungen sind ausnahmslos liebevoll detailliert und mit einer stimmungsvollen Beleuchtung sowie überzeugenden Wettereffekten ausgestattet. Ab und an erhascht man zwar flimmernde Kanten und matschige Texturen, aber genannte Stärken können diese kleinen Mankos schnell wieder ausbügeln. Die Charaktermodelle können ebenfalls einiges hermachen. So erwecken die Animationen durch Motion Capturing und Ragdoll-Physik einen äußerst realistischen Eindruck. Das macht die Treffer- und Sterbeanimationen in Verbindung mit den entsprechenden Einschussregionen und dem nicht gerade spendabel eingesetzten Pixelblut realitätsnah und schmerzhaft. Die hervorragenden Gesichter der Figuren transportieren ihre Gefühle tadellos. Zwar kommen die Gesichtsanimationen nicht an die Perfektion eines L.A. Noire heran, verdammt gut sehen sie aber dennoch aus. Besonders die Hauptcharaktere, allen voran Mr. Payne sind mit detailverliebten Gesichtszügen gesegnet. Max wurde im Übrigen diesmal das Aussehen seines alteingesessenen Synchronsprechers James McCaffrey verpasst. Im ersten Teil wurde Max aus Kostengründen vom Autor des Spiels verkörpert, der auch die Story zu Alan Wake schrieb. Die etwas neuen aufgedunsenen Züge und Regungen eignen sich perfekt für den gealterten und mitgenommenen Max. McCaffrey gab während der Produktion alles. Der Schauspieler schlüpfte auch in einen Sensorstrampelanzug, um seine Rolle durch Motion-Capturing auch in den Cutscenes spielen zu können. Auch stimmlich überzeugt der Mime in jeder Lebenslage – von tiefgehender Melancholie über grenzenlosen Zorn. Auch der Rest der Darstellerriege überzeugt mit tollem akustischem Spiel. Apropos Akustik: Die Klangkulisse von Max Payne 3 weiß mit stimmungsvollen portugiesischem Geschnatter der Gegner und atmosphärischen Sounds und Songs für jede Umgebung im Spiel zu begeistern. Die Schießprügel dröhnen mit einem richtig schönen Wumms aus den Boxen und belegen unser Spielzimmer mit einem Kugelhagel. Abgerundet wird dieses beeindruckende Paket vom fantastischen Noise-Pop-Soundtrack der Band HEALTH, die auch das legendäre Cello-Theme neu arrangierte.
Max Payne 3 schafft mit Bravour das, was viele Spiele versuchen: Eine perfekte Symbiose aus packender Thrillerstory, tiefgründiger Charakterentwicklung und spielerisch anspruchsvollem Gameplay. Kein Teil des Spiels kommt dabei zu kurz. Wir beißen uns in das Spiel hinein, weil wir die Spielmechanismen, die uns vor eine Herausforderung stellen bezwingen wollen. Wir beißen uns in das Spiel hinein, weil wir wissen wollen, wie die spannende Geschichte um Max und den Broncos weitergeht. Keine dieser Gründe kommt zu kurz und motiviert bis zum furiosen Finale. Besonders die erzählerische Qualität von Max‘ Werdegang in der Story und sein Umgang mit den physischen und psychischen Strapazen besitzt heutzutage echten Seltenheitswert. Selten hat uns eine Spielfigur so in seinen Bann gezogen. Dabei ist er kein Sympathieträger. Er trinkt zu viel, schluckt zu viele Pillen und begeht Torheiten. Und genau das macht ihn zu einem Original. Einem unverwechselbaren Unikat. Wer Max Payne 3 durchspielt begibt sich auf einen emotionalen Trip, der euch nach Ende des Spiels sprachlos zurücklässt.