Ein Mann hat es eilig, er rennt. Wir bemerken: Er trägt offene Handschellen. Er flieht! Hetzt auf eine fahrende Straßenbahn zu und springt in das Innere des Zuges. Er schlägt sich durch die Wagons, unzählige vermummte Gestalten niederstreckend. Schließlich gelangt der vermeintliche Flüchtling in einen Wagon und wir bemerken: Ein verdächtiges Piepsen – eine Bombe! Ehe wir den Sprengkörper lokalisieren können, werden wir überwältigt… Was passiert hier? Wer ist der Sträfling? Warum will er eine Bombe als einziger entschärfen? Will er das überhaupt? Das sind Fragen, die uns nach dem Auftakt zur Einzelspieler-Kampagne von Battlefield 3 durch den Kopf schießen. Wobei der Auftakt eigentlich einen Einblick ins Storyfinale gewährt. Wie kommt es also zum Straßenbahn-Shootout? Und wie geht’s danach weiter? Die Antwort wird Stunden früher nach und nach in einem muffigen Verhörraum gelüftet, wo Sergeant Henry Blackburn ein großes Problem plagt: Ihm glaubt keiner! Und keiner bedeuten zwei genervte Regierungsbeamte, die den Soldaten in einem Verhör auseinander zunehmen versuchen. Blackburn behauptet von einem Anschlag eines gewissen Solomon in New York zu wissen. Wie er dieses Wissen erlang, erfahren wir während der nächsten 6-7 Stunden Spielzeit in 12 abwechslungsreichen Missionen.
Wir erleben wie Blackburn mit seiner Einheit im irakischen Kurdistan gegen die fiktive iranische Widerstandsbewegung PLR kämpft, wie er als Scharfschütze des nachts in der umkämpften Hauptstadt Teheran versucht unentdeckt eine Einheit zu decken und wie er ein ums andere Mal einer aussichtslosen Situation trotzt. Die Missionen, die die Story als Rückblicke während des Verhörs versteht, sind allesamt sehr straff und wendungsreich inszeniert. Wir sind ständig in Bewegung und immer wieder sehen wir uns unerwarteten Situationen gegenüber. Beispiel: Die zweite Mission „Operation Swordbreaker“ (bekannt aus dem Fault-Line Gameplay-Video). Unser Auftrag: Eine vermisste Einheit finden. Blacks Trüppchen schlägt sich bis zu einem Parkplatz durch, wo sie einem Scharfschützen in die Schusslinie tappen. Nach einem flotten Feuergefecht kämpfen wir uns aufs Dach eines Gebäudes, von wo aus wir in eine sichere Position robben, um den Spitzbuben samt Häuserfront wegzusprengen. Im direkten Anschluss gilt es den zu rettenden Trupp von erhöhter Position aus Feuerschutz zu geben.
Auf dem Weg zu einem Rendezvouspunkt mit besagtem Trupp entdecken Blacks Kameraden eine Autobombe, dessen Kabel in einen Keller zur Bombenwerkstatt führt. Dem Kabel folgend dort angelangt muss Blackburn den Bombenbauer in einer Prügelsequenz ausknocken. Bei solchen Handgemengen spielt lediglich ein rudimentäres Maß an Timing eine Rolle: Die Schläge, Tritte und Kontermanöver, die Black und sein Gegenüber austauschen, spult das Spiel als Selbstablaufende Szene ab. Beeinflussen können wir die Auseinandersetzung nicht – halten sie aber mit vereinzelten Tastenkommandos am laufen. Richtige Interaktivität sieht anders aus, aber Quick-Time-Events sind ja gerade in Mode. Nach bekämpftem Hobbybastler und entschärfter Bombe geht es auf Geheiß unseres Vorgesetzten zurück auf die Straße, wo eine Schlacht entbrennt, bei der unzählige Infanteristen aufeinander einschießen und Autos explodieren bis ein gewaltiges Erdbeben den Kampf schließlich mit einem Paukenschlag beendet.
Für erzählerische und spielerische Abwechslung sorgen die Einsätze des Panzerfahrers Miller und der Jet-Kanonierin Hawkins, die von den beiden namenlosen Regierungsbeamten aufgetischt werden. Die Fahr- bzw. Flugmissionen „Donnerlauf“ und „Auf der Jagd“ spielen parallel zu Blacks Ausführungen und komplettieren das Verschwörungsmosaik nach und nach. Zudem erzeugen sie einen schönen Kontrast zu den taktisch anspruchsvollen Mann-Gegen-Mann-Auseinandersetzungen des Infanterie-Feldwebels.
Während wir in den Panzerlevels sowohl den Steuerknüppel als auch die Waffensysteme bedienen, laufen die Jet-Abschnitte wie auf Schienen ab: Während ein Pilot das Kampfflugzeug durch den feindlichen Luftraum lenkt, dürfen wir uns als Co-Pilot nur MG und Raketen bedienen, um feindliche Abfangjäger vom Himmel zu holen, was kniffeliger ist, als es müsste: Euer Pilot fliegt äußerst defensiv und lässt sich sehr leicht ausmanövrieren, sodass wir unsere ohnehin nicht manöverunfreudigen Widersacher schnell aus dem Blickfeld verlieren. So wird der Dogfight zum komplizierten Solotanz.
Während sämtlicher Missionen fallen uns die tollen Kommentare unserer Kameraden auf. Nicht nur während der Kämpfe sondern auch in ruhigeren Momenten überzeugen unsere Kumpanen mit glaubwürdigen Charakterzügen, wie Panik, Zweifel oder Sarkasmus. So werden im Verlauf der Kampagne unsere Kollegen Montez, Matkovic und Campo zu echten Köpfen, die uns ans Herz wachsen und um die wir uns sorgen. Das gleiche gilt für die zwei Männer, die unseren Protagonisten verhören: Der eine will nur seinen Job machen und versucht objektiv zu bleiben. Sein Kollege ist impulsiver und nimmt Blackburn in die Zange. Keiner der Charaktere wirkt überzeichnet oder stereotyp. Sogar der Bösewicht ist nicht der Superschurke, wie er in anderen Genrevertretern gerne auftritt – was wohl auch daran liegt, dass seine Handlungsgründe enttäuschend wenig beleuchtet werden. Außerdem wird die an sich gut erzählte Geschichte von einer Logiklücke geplagt: Blackburn und die CIA-Männer reden u.a. vom russischen Geheimagenten Dima Mayakovsky, über den wir zwei Mal die Kontrolle übernehmen. Allerdings können die drei gar nichts über diese Abschnitte wissen. Sie vermuten nur vage, was der Speznaz-Agent tat. Aber angesichts der daraus resultierenden und wirklich gelungenen Storywendung ist dieser Makel zu verschmerzen. Da ist man aus Modern Warfare 2 weitaus schlimmeres gewohnt. Wo wir gerade beim direkten Konkurrenten Call of Duty waren, in dem bekanntlich prominente Metropolen in Schutt und Asche gelegt werden: Eine Mission spielt in Paris, wo wir als Dima auch auf Polizisten schießen müssen. Dass dies nicht abgeschmackt wirkt liegt an der Art und Weise wie das Entwicklerstudio DICE die Handlung zu inszenieren weiß: Die Geschichte ist völlig frei von Pathos und konzentriert sich einzig und allein auf die Figuren. Das melancholische Ende setzt dem ganzen die Krone auf. Und das beim Thema Terrorismus!
Dieser besonnene Umgang mit diesem Szenario ist zu einem Großteil der Präsentation zu verdanken. Das Bild wirkt, wie mit einer anamorphischen Kameralinse gefilmt. Ähnlich wie im Science-Fiction-Reboot „Star Trek“ erhascht man immerzu unscharfen Dreck auf der Linse je nachdem aus welcher Richtung das Licht einfällt. Die Sonne und Scheinwerfer blenden und werfen ein beeindruckendes, aber auch verwirrendes Farbenspiel auf den Bildschirm. Dadurch wirken die sehr hübschen und abwechslungsreichen Szenarien der Kampagne sehr real. Was nicht zuletzt an der zerstörbaren Umgebung und am Sound liegt. Letzterer bietet uns das realistischste und spektakulärste Klangerlebnis bisher. Explosionen und Schüsse klingen sehr authentisch und hallen abhängig vom Ort (drinnen oder draußen) auf unterschiedliche Weise.
Hierbei ist eine Surround-Anlage Pflicht: Die Geräuschpositionierung erfolgt nämlich tadellos. Nach einiger Zeit entwickelt ihr ein Ohr dafür, wo sich Geräuschquellen befinden. Battlefield 3 setzt eher auf eine glaubhafte Geschichte, als auf eine Blockbuster-Inszenierung, wie die Call of Duty-Reihe. Die Musik unterstreicht dies schlicht und ergreifend großartig: Anstatt uns in den Gefechten mit lautem Orchesterbombast zuzudröhnen, tritt der meist dezent eingesetzte, ungewöhnliche elektronische Soundtrack nur selten in den Vordergrund. Die fremden Töne passen perfekt in jeden einzelnen Moment. Ein großes Lob verdient dabei die neue Version des bekannten Battlefield-Themas.
Battlefield 3 ist ein gelungener kurzweiliger und intelligenter Thriller – trotz seiner Logikmacke. Dieses Kontra wissen die Entwickler hervorragend auszumerzen: Die hervorragende Technik, die gut ausgearbeiteten Charaktere und die Story fügen sich zu einem organischem Ganzen, dessen Glanz einem bekannt ist. Denn spielerisch orientiert sich Battlefield 3 an Call of Duty, was nicht schlecht ist, da DICE der Kampagne ihrem ganz eignen Anstrich verleiht. Trotz des relativ geringen Wiederspielwertes sollte Battlefield 3 unbedingt von allen gespielt werden, die gute Shooter und wert und gut erzählte Geschichten legen.