Nachgeholt: Red Dead Redemption

In Nachgeholt schreiben wir über ältere Spiele, die wir seinerzeit sträflich vernachlässigt haben, weil das Taschengeld nicht reichte, die Hausaufgaben dazwischen kamen, die Sterne falsch standen oder der Klabautermann die Sicherungen geklaut hat. So oder so besuchen wir sie erneut und berichten über dieses Erlebnis, setzen sie in den damaligen und zeitlichen Kontext und sinnieren über Sinn und Unsinn von Story und Features.

Anno Domini 2010 war ich 19 Jahre alt, Schüler und damit beschäftigt meinen Pile of Shame abzuspielen. #Halo , #GearsOfWar2 und #RomeTotalWar hatten mich damals in ihrer Gewalt. Natürlich bekam ich mit, dass am 18. Mai ein von der Kritik gefeiertes Spiel erschien. Die #GamePro vergab eine Traumwertung von 95 Punkten und entspricht damit laut #Metacritic den internationalen Kollegen. Ein Meisterwerk, das seinesgleichen sucht. #Rockstar habe sich selbst übertroffen, so hörte ich. Jahre später wurde die #GameOfTheYear Edition günstig gekauft und ich war fest entschlossen, dieses Meisterstück zu durchpflügen und in mich aufzusaugen. Ich würde zum Cowboy werden, zur Manifestation von Recht und Ordnung, ein berittener Rächer von Witwen und Huren… später irgendwann. Mit Ende zwanzig, achteinhalb Jahre später wurde ich es endlich. Ich wurde John Marston.

John Marston braucht hingegen keine zu lange Einführung. Als Aussteiger aus dem Outlaw-Leben wird von Bundesagenten gezwungen Jagd auf seine Ex-Kumpane zu machen. Denn Pfand der Agenten sind Frau und Kind des Raubeins. Das Abenteuer beginnt auf der Ranch der McFarlanes, wo John aufgepäppelt wird, weil ihn sein erstes Ziel Bill Williamson angeschossen hat. Wer mutterseelenalleine vor einem Fort stehend lautstark die Kapitulation einfordert, darf sich nicht wundern mit einem Loch im Wanzt zu enden. Auf der Ranch der McFarlanes erlernen wir während Marstons Rekonvaleszenz die Grundlagen des Spiels. Der Kampf basiert auf dem von #Rockstars vorherigem Spiel #GTA4 . Um nicht erneut so erbärmlich niedergeschossen zu werden, müssen wir stets um Deckung bemüht sein von der aus ihr meistens gegnerische Coltträger wegfrühstücken könnt. Die bestechen eher selten durch ihre Intelligenz, als durch ihre Vielzahl und den gelegentlichen Willen zu flankieren. Augen auf also! Eure Ziele visiert ihr, abhängig der beiden Schwierigkeitsgrade, manuell oder per Autolock an. Damals wie heute ist das Trefferfeedback grandios! Dank der Grafikengine #Rage und des Physikmotors #Euphoria werden die unglückseeligen Feinde in Abhängigkeit ihres getroffenen Körperteils realistisch anmutend zurückgeworfen. Treffer in die Schulter, reißen sie zur Seite, Beinschüsse bringen sie zu Fall und Schrotflintenschüsse aus nächster Nähe haut die Kautabakkundschaft aus den Cowboystiefeln.

Das will auch zu Pferd gekonnt sein, denn der fiktive Bundesstaat New Austin, der uns alsbald frei zugänglich wird, will nicht auf Schusters Rappen erkundet werden. Unserem Pferd, ich nenne es Fritz, kann John mit wiederholtem Druck auf A bzw X die Sporen geben, um ihn davon zu überzeugen, dass es sich im Galopp schneller reist, als im lahmen Trap. Das geht aber nicht unendlich oft, denn Fritz macht bei übermäßigem herumgaloppiere gern mal die Grätsche, wenn wir nicht auf seine Ausdauer achten. Eine ausgeglichene Gangart mit weniger anstrengenden Passagen ist also Pflicht – auch beim Streitross, dem schnellsten und teuersten Gaul im Spiel. Bei Händlern können wir uns einen neuen und besseren Fritz leisten, was aber relativ schnell geht, da der schwarze Superfritz Marston vor keine große finanzielle Herausforderung stellt. Denn Geld lässt sich in der großen Spielwelt überall verdienen. Wir können wilde Pferde zureiten, auf Nachtwache gehen, Rindherden zusammentreiben, Hufeisen werfen, Finger im Five Finger Filet verlieren und Blackjack, Würfeln und Poker zocken. Tatsächlich entpuppt das Glücksspiel in #RedDeadRedemption einen suchterregenden Sog. Der Wille den verspielten Einsatz wieder reinzuholen entwickelt sich rasant. Das hängt aber auch damit zusammen, dass das Spiel die Regeln selbst für Blindschleichen, wie mich, transparent und verständlich erklärt. Ganz nach dem „nur noch eine Runde“-Prinzip sitzen wir stundenlang im Saloon, belauern unsere Kontrahenten und zocken was das Zeug hält. Je nachdem welche Klamotte sich John Marston übergestreift hat, können wir sogar schummeln und eine Karte im Ärmel zaubern.
Klamotten? Richtig, denn mit dem Abschließen von Herausforderungen (Kräuter sammeln, Tiere jagen, Kopfgelder einstreichen etc.) schalten wir mannigfaltige Kleidungsmöglichkeiten für uns an, die bisweilen auch Vorteile bieten, wie eben dem Mogeln im Glücksspiel.

John Marston sieht sich auf seiner Reise mit allerhand Gestalten konfrontiert. Einem Marshall, der zum Wohle der Allgemeinheit zwei Augen zudrückt; ein egoistischer Revolutzer, dem seine inspirierten Anhänger einerlei sind; ein rassistischer Anthropologe, der die Eingeborenen als Tiere abtut; ein altgedienter Revolverheld, der die alten Werte hochhält und noch viele mehr. Mit ihrer Hilfe versucht Marston seine alten Freunde aufzuspüren. Die resultierenden Hauptmissionen sind zwar nicht die abwechslungsreichsten (Eskorten, Schießereien, Zugüberfälle etc.), das stört aber kaum. Dafür funktionieren reiten und schießen zu gut. Apropos zu gut: Die Welt mit ihren Figuren führt uns zunächst gehörig in die Irre. Zu Spielbeginn macht sich das Gefühl breit, dass wir hier die klassische Westerngeschichte erleben mit Duellen und tugendhaften Helden, die über die Gesetzlosen triumphieren. Im späteren Spielverlauf wandelt sich #RedDeadRedemption zu einem Post-Western. Im Film wurde #JohnWaynes Cowboy von Ehre von #ClintEastwoods pragmatischen Raubein ersetzt. In dieser Art Anti-Western Charaktere werden von der brutalen Welt vor den Kopf gestoßen. Beispiel: Im mexikanischen Teil der Spielwelt hören vom Revolutionär Reyes, der für hehre Ziele kämpft und lebt. Haben wir ihn erstmal gerettet und lernen ihn kennen, entpuppt er sich als lügender, selbstsüchtiger Hurenbock. Das naive Bauernmädchen Luiza, das ihn liebt und sich sogar opfert wird Minuten später von ihm vergessen. Oder die bibelfeste Frau, die wir im Introfilm kurz kennenlernen, wird von uns zugedröhnt in der Wüste gefunden, verirrt zum Sterben verurteilt. Diese Welt hält nur Tod und Verfolgung für Träumer und Idealisten bereit, während die Betrüger und Opportunisten überleben und den Westen zähmen.

Aber was ist genau diese Welt von der ich die ganze Zeit rede. Der Wilde Westen ist nicht mehr der, der er Mal war. Die Zivilisation hält 1911 Einzug in die Prärien und Wälder. Technologischer und industrieller Fortschritt lassen den alten Westen sterben, der Einfluss der Regierung mit rigorosem Durchsetzen der Gesetze wächst. #RedDeadRedemption fragt fortwährend was der Preis für Zivilisation ist. Und so merken wir, dass sie lediglich einen anderen Geschmack an Gewalt mit sich bringt. So klemmt sich Marston an eine frisch erfundene Gatling Gun und mäht damit dutzende Feinde samt Pferde über den Haufen. Ein kleiner Vorgeschmack auf die Schrecken des bald darauf ausbrechenden Ersten Weltkrieg.

SPOILER ALARM:
FOLGENDER TEXT NIMMT WICHTIGE STORYWENDUNGEN IN RED DEAD REDEMPTION VORWEG

Während die meisten seiner ehemaligen Kumpane zu Gunsten des restlichen gut ausgearbeiteten Rasters an Nebencharakteren eher flach daherkommen, bildet der Bandenchef Dutch van der Linde einen Kontrast. Er ist brutal (aber wer ist das nicht), nachdenklich, ehrlich und kompromisslos. Er tut was er tun muss um seine Freiheit und die seiner Bande aufrechtzuerhalten und das bedeutet im Kontext des zivilisierten Lebens kriminell und vogelfrei zum Abschuss. Für Dutch bedeutet Zivilisation als Teil einer endlos betriebenen Maschinerie verheizt zu werden, ohne Sicht auf Selbsterfüllung, also Freiheit. Sein Lebensstil mag zwar hart und lebensgefährlich sein, aber zumindest frei. Als Gegenstück dient John Marston. Er erzählt im Spielverlauf davon, dass die alte Gang seine Familie war und das sie seine Art Wertschätzung geprägt haben, aber auch zum Sterben zurück ließ. Auch seine Frau und sein Sohn waren Teil dieser Großfamilie. Aber dazu später mehr. Marston wird von der Regierung gegen dieses freiheitsliebende Robin-Hood-Leben instrumentalisiert. Er selbst interessiert sich nicht für Ideologien, Revolutionen und derartiges. Alles was er will, ist bei seiner Familie zu sein. Auch wenn es heißt den Anführer von Einst umzubringen. Das mündet in einer Szene in der van der Linde einem Abgrund im Rücken hat, von Marston verfolgt, dessen Revolver auf ihn gerichtet. Das letzte was van der Linde sagt ist, dass die Regierung niemals aufhören wird ein neues Monster zu suchen und zu jagen, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Anschließend stirbt er so wie er lebte – frei und selbstbestimmt lässt er sich in den Abgrund fallen. Mit dem Abschluss seiner Mission ist auch Marston frei zu tun was er will: Nach Hause reiten. Mit #JamieLidell Klängen und dem Song „Compass“ im Rücken, reiten wir gen Familie. Wir haben das Gefühl alles erledigt zu haben und uns fällt tatsächlich ein Stein vom Herzen. Nach einer Begrüßung zwischen Glück, Wut und Traurigkeit muss sich Marston wieder ans Famerleben gewöhnen. Hier endet nicht einfach das Spiel. Es geht weiter mit Problemen auf der Farm die gelöst werden wollen. Vieh will gekauft, wildernde Tiere abgeschreckt, Banditen ver- und die Herde auf die Weide getrieben werden. Wir kommen allmählich in einen Tagesablauf hinein und seine Familie wächst uns ans Herz. Insbesondere Sohn Jack. Die verträumte Leseratte will es seinem Vater recht machen und beweisen, dass er aus seines Vaters Holz geschnitzt ist und sich leichtsinnig in Gefahr bringt. Dass wir ihn retten, ihm das Schießen und Jagen beibringen und uns mit ihm beschäftigen, sorgt dafür, dass wir uns mit seiner Vaterrolle identifizieren und sein einfaches Leben zu schätzen lernen. Bis an dem Tag an dem Dutchs letzte Worte wahr werden. Die Regierung greift die Marston-Farm an und wir müssen sie verzweifelt gegen eine Übermacht verteidigen. Der Moment in dem John das Scheunentor aufschlägt und vor dutzenden Soldaten steht hat sich ins Hirn einer ganzen Spielergeneration gebrannt. Vor meinem verspäteten Durchgang wurde mir zumindest gespoilert, dass John stirbt, aber dass er derart durchsiebt wird und vom Agenten Edgar Ross, der ihn einst beauftragte Dutch und Co. zu finden, beim elendigen Verrecken beobachtet wird, wusste ich nicht. Eine Szene, die mich erschüttert hat. Aber damit endet es nicht. Nachdem Familie Marston seinen Patriarchen beerdigt hat, springt die Handlung um drei Jahre nach vorne. Neben John wurde auch seine Frau zur ewigen Ruhe gebettet. Jack hat sich zu einem jungen Mann entwickelt, den wir an seines Vaters statt durch die Welt bewegen. Was viele Spieler, und ich auch nicht sofort, realisiert haben: Es gibt noch eine Sache zu erledigen. Einen letzten Auftrag auf der Map. Wir fragen uns durch, um das Rentendomizil von Edgar Ross zu finden. Wir finden ihn am Lake Julio Tiere jagend. Es kommt zum Showdown. Zu einem allerletzten Duell zwischen uns, Jack, und dem Mann, der sich offen als das Böse bezeichnet, weil er das Recht in eine gesetzlose Hölle bringen muss. Schlussendlich stirbt Ross. Die Racheschüsse, die Jack in die markierten Körperstellen versenkten haben mich beim Spielen mit Genugtuung erfüllt. Mit dem Gefühl, dass jeder früher oder spät erntet was man sät, sah ich den Abspann über den Bildschirm rollen. Und mir wurde klar, dass ich ein echtes Epos erlebt habe. Eine Satire auf den Wilden Westen und ein fantastisches Spielerlebnis. Und ein vielversprechender Ausblick auf den zweiten Teil.

Klingt nach einem guten Abschluss oder? Zu guter Letzt muss ich aber noch die Musik loben. Während der indirekte Vorgänger #RedDeadRevolver lizensierte Musik unter anderem aus den #Django Filmen nutzte, bietet #RedDeadRedemption einen unglaublich atmosphärischen Original Soundtrack. Mithilfe von Mundharmonikas, E-Gitarren, Trompeten und experimenteller Perkussion haben es #BillElm und #WoodyJackson geschafft, dass die bewaldeten Berge im Norden, die trockenen Zentralen Steppen und Mexiko im Süden vor Westernatmosphäre nur so triefen. Die Musik passt sich dynamisch und fließend der jeweiligen Spielsituation an. Das unbestrittene Highlight stellen aber die Songs dar. Wenn wir zum ersten Mal über den Rio Bravo nach Mexiko übersetzen und in die Fremde reiten ertönt #JoséGonzález „Far Away“ was mir eine wohlige Gänsehaut beschert hat. Den Heimritt habe ich bereits erwähnt. Johns Beerdigung, untermalt „Bury Me Not On The Lone Prairie“ von #WilliamElliotWhitmore – hat mir sogar eine Träne abgerungen. Wer sich ein Bild davon machen will, dem empfehle ich das Album auf Spotify.

https://open.spotify.com/album/22H5XKyHXkxHbty4jtBibg

Autor: Tim Hildebrandt

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